Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)
schlechteste Zeitpunkt für solch eine Frage.
»Nein, nein«, erwiderte ich, nachdem ich mir meiner Stimme wieder sicher war, »das passiert ganz selten, also fast nie.«
Ich war überrascht, dass sie ausgerechnet mir die Frage stellte. Offenbar war ich als Organisator des Ausflugs automatisch auch für fachliche Auskünfte zuständig. Es schien leichter zu sein als gedacht, die Anerkennung seiner Frau zu gewinnen. Leider konnte ich mich in dieser Höhe nicht wirklich darüber freuen.
»Und was ist mit Vögeln? Flugzeuge sind deshalb ja auch schon abgestürzt.«
»Ausgeschlossen«, sagte ich bestimmt, ich spürte, dass mir fachliche Auskünfte lagen, »die fliegen einfach um den Ballon herum.«
»Aber es könnte doch sein, also mal angenommen, ein Storch prallt mit dem Schnabel dagegen.«
Ich war längst über jeden Zweifel erhaben. »Störche prallen im Sommer nicht auf fliegende Heißluftballons.«
Jutta sah mich erstaunt an. »Und warum nicht?«
»Weil sie nur im Herbst und im Frühjahr so hoch fliegen, jetzt stehen sie in der Wiese und warten auf Frösche. Das kann dir Herr Höbel sicher bestätigen.«
Herr Höbel hatte jedoch zum Glück nicht zugehört, was mich veranlasste, meine Ausführungen noch etwas zu konkretisieren.
»Weißt du«, erklärte ich sorglos – ich ließ versehentlich die Brüstung los, worauf ich ins Taumeln geriet und mich spontan an ein Seil über mir hängte –, »so ein Ballon ist wahrscheinlich das sicherste Fortbewegungsmittel weltweit. Sicherer als ein Flugzeug oder ein Auto.«
Während ich mich ans Seil klammerte, wagte ich zum ersten Mal einen Blick zwischen meinen Armen hindurch nach unten. Es gab eigentlich nicht viel zu sehen, und das beruhigte mich etwas. Die Landschaft wirkte wie ein hübsch gemusterter Teppich, der gut zu unserer Wohnzimmereinrichtung gepasst hätte. Grün gepaart mit warmen Ockertönen. Einen Platz neben dem Sofa konnte ich mir sehr gut vorstellen. Vielleicht sollte man die Einrichtung überhaupt komplett überarbeiten. Ich hatte schon länger den Eindruck, dass sich irgendetwas ändern musste. Hundert Meter über der Erde an einem Seil im Heißluftballon hängend, wurde mir klar, dass mir unsere Wohnungseinrichtung nicht mehr gefiel. Es war verblüffend, zu welchen Einsichten man kam, wenn man seine vertraute Umgebung verließ.
Trotz der ein wenig ungemütlichen Haltung blieb ich vorsichtshalber so hängen, falls sich noch weitere Einsichten ergaben.
»Fliegen wir eigentlich noch lange?« Meine Frau begann sich offenbar zu langweilen. Ihre anfängliche Begeisterung schien angesichts des immer gleichen Panoramas verflogen zu sein. Ich war dagegen ganz froh, dass nichts Aufregendes passierte. Mir genügten die kaum wahrnehmbaren Abwechslungen, die mir das sichere Gefühl gaben, dass alles in Ordnung war.
Zum Glück hatte ich noch einen Trumpf im Ärmel.
»Wir werden gleich einen Zwischenstopp einlegen«, sagte ich geheimnisvoll.
»Einen Zwischenstopp?« Jutta war plötzlich wieder hellwach.
Es bedrückte mich, wie schnell sie die Lust verlor. Man musste heutzutage dauernd irgendwelche Trümpfe aus Ärmeln zaubern, um die Beziehung am Leben zu erhalten. Vielleicht fühlte sich Jutta auch deshalb zu Gunnar hingezogen, weil er anscheinend eine unübersehbare Zahl von Trümpfen in seinen Ärmeln versteckt hatte. Doch für solche Taschenspielertricks war ich der falsche Mann. Ich hatte keine Lust mehr zu spielen.
In diesem Augenblick frischte der Wind auf. Eine Böe traf den Korb von der Seite, sodass mir das Seil aus den Händen gerissen wurde und ich reflexartig zu Boden sank. Mit beiden Händen stemmte ich mich gegen die Wand und drückte mein Gesäß nach hinten. Wie ein Pfropf steckte ich fest in meinem Abteil. Auf einmal war ich dankbar, dass ich so dick war. Ich hatte immer gewusst, dass mir mein Gewicht irgendwann nützlich sein würde. Der Korb schwankte so stark, dass mir übel wurde. Derweil war auch Jutta in die Knie gegangen und klammerte sich an die Brüstung.
»Nun mach doch endlich was!«, rief sie erschrocken. Ich brauchte einen Moment, bis mir klar wurde, dass sie mich damit meinte. Leider hatte ich keine Ahnung, was ich in dieser Situation für sie tun konnte. Erwartete sie, dass ich mich als Ballast von Bord stürzte? Aber irgendwann reichte es selbst mir.
Herr Höbel war derweil die Ruhe selbst.
»Keine Panik«, sagte er, während wir durchgerüttelt wurden, »das haben wir gleich.«
Um nicht völlig untätig zu sein,
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