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Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Titel: Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Beldt
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majestätisch im Wind schwankender Riesensack. Es war ernüchternd zu beobachten, welche Wirkung ein paar Tausend Kubikmeter heiße Luft auf meine Frau ausübten. Ich betrachtete Herrn Höbel etwas genauer. Er hatte ein grobes, wettergegerbtes Gesicht. Seine Augen strahlten Zuversicht aus. Immerhin schien er die Sache nicht zum ersten Mal zu machen. Allerdings wusste man vom Kapitän der Titanic Ähnliches zu berichten.
    »Ich hoffe, ich bin nicht zu schwer«, sagte ich, einen letzten Versuch startend, als wir über eine kleine Leiter, die von einem Mitarbeiter, der offenbar nicht mitflog, gehalten wurde, in den Korb stiegen.
    »Notfalls werfen wir ihn als Ballast ab«, meinte Herr Höbel augenzwinkernd an Jutta gewandt, die lachend Einverständnis signalisierte.
    Während ich mich am Korb festkrallte und dabei irgendwie sorglos auszusehen versuchte, stand Jutta völlig entspannt gegen die Korbwand gelehnt und verfolgte neugierig die Arbeit von Herrn Höbel. Immer wieder feuerte er eine meterhohe Flamme in den Ballon, der davon jedes Mal schwach erzitterte. Ich hatte von den physikalischen Voraussetzungen für eine Ballonfahrt keine Ahnung, fragte mich aber, in welcher Verfassung der Erfinder dieser im Grunde vollkommen sinnlosen Freizeitbeschäftigung gewesen sein mochte. Vielleicht war er einmal ebenso ehrgeizlos gewesen wie ich, bis ihn seine Frau eines Tages bat, etwas Aufregendes zu erfinden. Obwohl er eigentlich ganz glücklich war, dachte der Mann daraufhin wochenlang über eine besonders spannende Erfindung nach, als ihm beim Flechten eines Weidenkorbs plötzlich die Erleuchtung kam. Seitdem hatte er keine Ruhe mehr.
    Es war an der Zeit, sich allen Bitten seitens der Frauen zu widersetzen und keine unnötigen Erfindungen mehr zu machen, die dazu führten, in einem winzigen Weidenkorb durch die Luft zu fliegen.
    Als die Leinen gekappt wurden, erhob sich der Korb derart ächzend, dass ich Sorge hatte, ich könnte doch zu schwer sein.
    Fast lautlos – die Stille wurde nur gelegentlich unterbrochen vom Zischen des Brenners – schwebten wir nach oben.
    Ich bemühte mich, nicht hinunterzusehen, und konzentrierte mich auf die Arbeit von Herrn Höbel. Es war immer nützlich, sich beim Anblick arbeitender Menschen von der eigenen Ratlosigkeit abzulenken.
    Jutta bewunderte derweil entspannt die unter ihr vorbeiziehende Landschaft.
    »Ist das nicht herrlich, die vielen Wälder?«
    »Ja, toll«, sagte ich, »man glaubt es kaum.«
    »Und da unten ein Reh!«, rief Jutta so aufgeregt, als wäre ein Reh etwas völlig Ungewöhnliches. Ich fand es ein wenig lächerlich, was für ein Aufhebens sie darum machte. Dasselbe konnte man am Boden schließlich auch sehen.
    »Es sind gar keine Menschen zu sehen, ist das nicht komisch?«
    »Warum sollen die auch in der Landschaft rumlaufen, nur weil wir gerade oben vorbeifliegen?«, sagte ich.
    »Aber man müsste doch wenigstens irgendwelche Bauern sehen«, ließ Jutta nicht locker.
    »Die sitzen alle in ihren Kellern über neuen Erfindungen.«
    »Was?«, fragte sie, schien die Frage aber gleich wieder vergessen zu haben, weil sie viel zu sehr mit Schauen beschäftigt war. Das bestärkte mich wieder einmal darin, dass man auf Fragen seiner Frau nie sofort zu antworten brauchte.
    Inzwischen waren wir so hoch gestiegen, dass die Landschaft zu einer ebenen Fläche geworden war, die sich am Horizont bereits zu neigen begann. Es war spürbar kalt geworden. Ein leichter Wind rüttelte am Korb, der bedrohlich knackte. Ich hatte mich so in die Brüstung verkrallt, dass man mich später vermutlich herausschneiden musste. Meine Beine waren weich wie Pudding. Ich spürte kaum noch den Boden unter den Füßen. Die ganze Zeit bewegte ich mich keinen Millimeter von der Stelle, da ich befürchtete, der Korb könnte in eine gefährliche Schieflage geraten. Ich sehnte mich nach unserem Garten. Bei der Vorstellung, in der Hollywoodschaukel zu liegen und den Bienen beim Nektarsaugen zuzusehen, bekam ich großes Heimweh. So mussten sich Soldaten an der Front fühlen, wenn sie in der afghanischen Wüste auf bärtige Gotteskrieger warteten. Wenn man ihre Gedanken filmen könnte, würde man überwiegend idyllische Ansichten aus heimischen Gärten zu sehen bekommen. In den Abendnachrichten würden solche Frontbilder allerdings auf Unverständnis stoßen.
    »Kann man eigentlich auch abstürzen?«, fragte mich Jutta plötzlich. Wir befanden uns mindestens hundert Meter über dem Erdboden, es war der denkbar

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