Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)
sollte ich mich eigentlich nicht lächerlich machen? Vielleicht konnte ich damit alle Forderungen an mich löschen. Ein für alle Mal wäre klar, dass Bernd Wollmann für Herausforderungen der falsche Mann war und deshalb keinerlei Ansprüche mehr an ihn gestellt werden durften. Bedauerlicherweise fehlte gerade jetzt der wichtigste Zuschauer: meine Frau.
Ich stopfte die Kissen vom Sofa in zwei Mülltüten und verschnürte sie gut. Als Start- und Ziellinie diente eine Bambusstange, die andere steckte ich in etwa zwanzig Metern Entfernung in den Boden. Erst wenn man sie einmal umrundet hatte, durfte man wieder zurück.
Ich bildete zwei Gruppen: Mädchen gegen Jungs. Obwohl mir klar war, dass die Jungs ihre weiblichen Gegner nicht sonderlich ernst nahmen, glaubte ich dadurch den Ehrgeiz der Mädchen zusätzlich anzustacheln.
Wie vermutet, rächte sich die vermeintliche Überlegenheit der Jungs sehr bald. Waren sie den Mädchen anfangs noch um mehrere Längen voraus, drehte sich der Spieß spätestens in dem Moment um, als sie anfingen, ihren Sieg bereits lange vor Erreichen des Ziels zu feiern. Prompt verstießen sie gegen die Regeln, bogen vor der Bambusstange rechts ab oder brachen den Wettbewerb sogar ganz ab, als sie erkannten, keine Chance mehr zu haben.
Jedes Mal, wenn ein Mädchen zuerst durchs Ziel hüpfte, war ich der Erste, der klatschte. Ja, ich genoss den Untergang meiner Geschlechtsgenossen regelrecht, fragte mich allerdings auch, ob ich auf der richtigen Seite stand. Denn mir war natürlich bewusst, dass ich durch meine einseitige Bevorzugung weder auf der einen noch auf der anderen Seite Anerkennung erwarten konnte.
Nachdem fast alle durch waren, tönte der kleine Gunnar plötzlich etwas von Spielverderber, wenn ich mich nicht auch an dem Wettbewerb beteiligte. Inzwischen war es mir egal, ob ich mich zum Gespött der Kinder machte. Vielleicht erreichte ich in ihren Erinnerungen sogar eine gewisse Unsterblichkeit. Noch Jahrzehnte später würden sie sich an meine Niederlage erinnern. Als Sieger hätte ich nicht die geringste Chance gehabt.
Ich forderte Gunnar auf, gegen mich anzutreten. Zunächst weigerte er sich, wurde von seinen Kumpels aber schließlich überzeugt.
Herr Sartorius stellte sich als Kampfrichter zur Verfügung. Als wir unsere Startpositionen eingenommen hatten, ertönte ein lautes »Paff!«
Gunnar hatte sich gleich mit einer Hüpflänge vor mich gesetzt, da ich unter dem Paff kurz zusammengezuckt war und dabei vor Schreck den Sackzipfel aus den Händen verloren hatte.
Breitbeinig, den Sack mehr hinter mir herziehend, versuchte ich aufzuschließen. Hinter uns grölten die Kinder. Es war zweifellos der Höhepunkt des Nachmittags. Innerhalb weniger Sekunden lag Gunnar praktisch uneinholbar vor mir. Er hatte die Bambusstange schon erreicht, während ich noch nicht einmal fünf Meter zurückgelegt hatte. Der Schweiß lief mir aus sämtlichen Poren. Nur unter größten Anstrengungen brachte ich den Sack überhaupt noch hoch. Ich dachte an einen vorzeitigen Abbruch. Als ich jedoch sah, wie er mich, seines Sieges bereits sicher, höhnisch anlächelte, konnte ich das nicht auf mir sitzen lassen. Die Bambusstange noch in weiter Ferne, hüpfte ich regelwidrig nach rechts und setzte mich so vor meinen Gegner. Trotz Buhrufen ließ ich mich nicht beirren und behielt das Ziel fest im Blick. Doch ich hatte nicht mit Gunnars Kampfeswillen gerechnet. Auf einmal sah ich ihn neben mir auftauchen und locker vorbeiziehen. Die Ziellinie war nur noch drei Meter entfernt. Kurz entschlossen warf ich Ballast ab, ließ den Sack einfach fallen und hüpfte, die Form dennoch wahrend, breitbeinig weiter. Gunnar hatte das Ziel unter dem Jubel der Kinder gerade übersprungen, als mir plötzlich schwarz vor Augen wurde. Ich wankte, ging in die Knie und schlug wenige Zentimeter vor der Bambusstange mit dem Kopf auf den Boden.
Als ich wieder zu mir kam, sah ich als Erstes rot lackierte Zehennägel. In meinen Leben hatte ich noch nicht oft die Gelegenheit gehabt, Zehennägel aus nächster Nähe zu betrachten. Doch wurde mir schnell klar, dass diese Zehennägel keinesfalls zu einem der Kinder gehörten. In Gedanken ging ich rasch sämtliche Füße durch, musste jedoch feststellen, dass ich nicht mal die Füße von Jutta erkannt hätte. Nach fast zehn Ehejahren schienen wesentliche Körperteile meiner Frau immer noch im Dunkeln zu liegen, was in mir den Entschluss reifen ließ, ihre Füße bei Gelegenheit etwas genauer
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