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Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Titel: Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Beldt
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eine Möglichkeit, wieder zu ihr aufzuschließen: indem ich mich allen Anforderungen widersetzte und von der Schule flog.
    Bevor ich losradelte, genehmigte ich mir ein ausgiebiges Mittagessen. Derart vorbereitet, schwang ich mich aufs Fahrrad und fuhr zunächst mit der S-Bahn bis nach Oranienburg, um nicht schon völlig erschöpft am Hotel anzukommen. Ich hatte mir die Route im Netz vorher genau angesehen. Von Oranienburg brauchte man eigentlich immer nur geradeaus zu fahren.
    Leider hatte ich mir nicht angesehen, wie man vom Bahnhof Oranienburg durch die Stadt Richtung Norden gelangte. Großartige Pläne scheiterten oft an den Details, und ich war Meister darin, die entscheidenden Details zu übersehen. Die Stadt war nämlich größer als angenommen, und nicht jeder Weg, der in nördlicher Richtung begann, endete zwangsläufig auch im Norden.
    Inzwischen hatte ich die Hauptgeschäftsstraße zum vierten Mal passiert. Einige Passanten grüßten mich schon, weil sie mich von irgendwoher zu kennen glaubten. Obwohl ich genügend Zeit eingeplant hatte, wurde ich langsam unruhig.
    An einer Bushaltestelle sah ich einen Mann auf den Bus warten. Ein Einheimischer konnte mir sicher weiterhelfen.
    »Wo geht es denn hier nach Norden?«, fragte ich ein wenig außer Atem. Der Mann trug Sandalen und hatte offensichtlich viel Zeit. Er musterte ausgiebig mein Fahrrad, ehe er sich zu einer Gegenfrage durchrang.
    »Nach Norden?« Er wirkte erstaunt, als wäre ihm diese Himmelsrichtung völlig unbekannt. »Wo wollen Sie denn da hin?«
    Ich hatte keine Lust, ihm die Umstände meiner Reise zu erläutern, und deutete knapp mein Ziel an.
    »In ein Hotel?« Er betrachtete erneut mein Fahrrad. Anscheinend konnte er sich einen Mann auf einem Damenfahrrad nur schwer in einem Hotel vorstellen.
    »In welches Hotel wollen Sie denn da genau?«
    Ich dachte nach. Auf einmal fiel mir der Name des Hotels nicht mehr ein. Mein Unvermögen, mir Namen zu merken, mischte sich im ungünstigsten Moment mit meiner Orientierungsschwäche. Ich hatte einfach zu viele Schwächen, um im Leben weit zu kommen, das wurde mir jetzt mit aller Brutalität deutlich.
    »Gibt es im Norden denn viele Hotels?«, fragte ich etwas naiv. Vielleicht nannte er ja von sich aus einige Namen.
    Er zuckte die Schultern. »Seit meine Frau tot ist, komme ich kaum noch raus«, sagte er bedauernd. Ich hoffte, dass seine Frau nicht vor dem Bau meines Hotels verstorben war. »Eigentlich interessiere ich mich für gar nichts mehr.«
    Ich fragte mich, ob es mir ähnlich erging, wenn Jutta vor mir starb. Womöglich interessierte ich mich dann für ganz andere Dinge.
    »Wir sind ja von den Frauen abhängig, ich finde das schlimm, ganz schlimm.« Er schien bedrückt, als könnte er nichts dagegen unternehmen.
    »Was meinen Sie mit abhängig?«, fragte ich.
    Er sah mich scharf an. »Sind Sie verheiratet?«
    Ich bejahte.
    »Und, merken Sie nichts?«
    »Merken?«
    »Sehen Sie, man merkt es zuerst auch nicht. Es kommt schleichend.«
    »Es kommt schleichend?« Ich hatte keine Ahnung, wovon er redete.
    »Genau, plötzlich machen Sie Sachen, die Sie nie machen wollten.« Er sah wieder auf mein Fahrrad, als hätte er mich durchschaut.
    »Zum Beispiel?«, fragte ich.
    »Angeln.«
    »Angeln?«
    »Wir haben einen See vor der Haustür, eines Tages hat mich meine Frau gefragt, ob ich nicht mal angeln gehen wolle, das wäre doch was für mich.«
    »Und?«
    »Ich hasse Fische, aber ich bin angeln gegangen.«
    »Sie hätten sich weigern können.«
    Er lachte so laut, dass sich einige Passanten nach uns umdrehten. »Weigern? Junger Mann, Sie scheinen ja überhaupt keine Ahnung zu haben. Man kann sich einer Frau nicht verweigern.«
    »Sie hätten es wenigstens versuchen können«, sagte ich beunruhigt.
    »Ach, das wäre mir zu anstrengend gewesen. Ich wollte meine Ruhe haben.«
    Ich überlegte, ob ich später auch in Sandalen an Bushaltestellen stehen und Lebensweisheiten hinausposaunen würde.
    »Aber jetzt brauchen Sie wenigstens nicht mehr zu angeln«, sagte ich optimistisch.
    Er sah mich einen Moment nachdenklich an.
    »Wissen Sie, was das Verrückte ist?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ich angele immer noch.«
    Der Bus kam. Ehe er einstieg, sagte er noch einen bemerkenswerten Satz zu mir: »Ein schönes Fahrrad haben Sie, lassen Sie sich bloß nicht beirren.«
    Ich stand noch eine Weile an der leeren Bushaltestelle und bemühte mich den Satz zu verstehen, als ich vor mir ein Verkehrsschild entdeckte. »Alle

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