Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)
zu betrachten, sollte ich wieder einmal in die Verlegenheit kommen, aus dieser Entfernung Füße identifizieren zu müssen.
Weil ich Jutta erst später am Abend zurückerwartete, befürchtete ich plötzlich, dass es Zoes Mutter sein könnte. Doch was würde ihre Mutter wohl sagen, wenn ich minutenlang auf ihre Füße starrte?
Also blickte ich mit dem entspanntesten Gesichtsausdruck, der mir unter diesen Bedingungen zur Verfügung stand, hoch – und wurde sofort rot. Denn es war Jutta, und sie sah mich besorgt an.
»Ich dachte, du bist noch in Karlsruhe«, sagte ich und raffte mich langsam auf, was schon allein mehrere Sekunden dauerte. Die eigene Gebrechlichkeit hatte immerhin den Vorteil, dass man mehr Zeit zum Nachdenken hatte. »Das sind hier übrigens, äh, Kinder, also wir feiern gerade einen … Kindergeburtstag«, sagte ich stotternd und klopfte mir den Rasen von der Hose.
»Das sehe ich«, meinte Jutta. Aus ihrer Antwort war nicht klar zu entnehmen, in welcher Laune sie sich gerade befand.
»Genauer gesagt, feiern wir Zoes neunten Geburtstag, ich dachte, es wäre nett, wenn ich unseren Garten zur Verfügung stelle.«
»Und das hast du wohl erst heute entschieden«, sagte sie. Ich glaubte einen winzigen Vorwurf herauszuhören, wollte mich aber nicht festlegen.
»Nein, nein, so ein Geburtstag deutet sich ja an, also normalerweise weiß man es ja schon länger.«
»Wäre es denkbar, dass du mich in deine Pläne beim nächsten Mal einweihst?«
»Das wäre machbar«, erklärte ich. »Aber bei Kindern weiß man ja nie. Plötzlich steht da so eine kleine Geburtstagsgesellschaft vor der Tür, und die kann man ja nicht so einfach wieder wegschicken.«
»Woher kommen die vielen Kinder eigentlich?«, fragte Jutta und blickte sich um.
»Aus der Nachbarschaft«, sagte ich, »alle aus der direkten Nachbarschaft. Sie können also jederzeit … «, ich sah auf meine Uhr. »Sie werden schon bald wieder nach Hause gehen. Wir haben übrigens Wurstschnappen und Sackhüpfen gemacht«, klärte ich sie der Ordnung halber noch auf.
»Wurstschnappen und Sackhüpfen«, wiederholte Jutta. Sie musterte mich ernst. Das hätte ich besser nicht erwähnt, aber ihr Eindruck von mir war inzwischen vermutlich ohnehin so verheerend, dass es nun auch nicht mehr darauf ankam.
»Ich finde es richtig toll, Bernd, wie du dich um die Kinder kümmerst. Meinetwegen können sie auch noch länger bleiben.«
Ich war sprachlos. Ich konnte es kaum glauben. Hatte ich sie missverstanden, oder hörte ich aus ihren Worten sogar etwas wie Bewunderung heraus?
Irgendetwas hatte ich wohl je nach Standpunkt falsch oder richtig gemacht. Nur wusste ich inzwischen längst nicht mehr, wo mein Standpunkt überhaupt war. Was meine Frau als Kompliment gemeint hatte, konnte ich deshalb nicht richtig genießen. Ja, ich ärgerte mich, dass sie mir zu einer Leistung gratulierte, mit der ich eigentlich gar nichts zu tun hatte. Es war das falsche Kompliment, und vor allen Dingen kam es zu spät.
20
Völlig unverhofft ergab sich dann doch noch die Gelegenheit, Gunnar Fahrenkamp unter den Tisch zu trinken. Die Klausurtagung sollte von Donnerstag auf Freitag in einem nördlich der Stadt gelegenen Hotel stattfinden. Jutta erwähnte in aller Unschuld, dass die Teilnehmer sich hinterher noch treffen würden, um den Abend bei einem »Gläschen« ausklingen zu lassen.
Das war das Stichwort. Da ich Alkohol jedoch kaum vertrug, hatte sich die Grundlage meines Planes allerdings erheblich verändert, sodass ich mir nicht sicher war, ob ein Zusammentreffen auf dieser Basis noch sinnvoll war.
Hinzu kam, dass mir auf einmal die ganze Lächerlichkeit dieser Aktion bewusst war. In den letzten Wochen hatte ich mich immer weiter von mir entfernt, ohne Jutta dabei einen Zentimeter nähergekommen zu sein. Langsam hatte ich sogar den Verdacht, dass Jutta alles gar nicht so gemeint haben könnte. Schon oft hatte ich auf eine nebensächliche Erwähnung von ihr alle Hebel in Bewegung gesetzt, nur um etwas später erfahren zu müssen, dass sie lediglich laut nachgedacht habe.
Mein Wunsch, ihr alles recht zu machen, hatte mich zum Spielball ihrer Launen gemacht. Und dabei konnte ich im Grunde nur verlieren. Denn anders als in der Schule gab es in der Ehe keine Noten. Man konnte auch nicht versetzt werden. Dabei hatte ich seit Jahren das Gefühl, ständig dieselbe Klasse zu wiederholen, während Jutta das Abitur längst bestanden hatte. Ihr Vorsprung schien unaufholbar, und es gab nur
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