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Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Titel: Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Beldt
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gestalten. Als ich mich unter den jungen Gästen umschaute, sah ich jetzt auch Herrn und Frau Sartorius, Lutz Reichenbach, den Staatssekretär im Innenministerium, und sogar den Zahnarzt Dr. Hendricks. Der Staatssekretär hatte einen verschmierten Schokoladenmund und lief wütend hinter Herrn Sartorius her, der ihm offenbar einen Keks geklaut hatte. Nur Jutta war nirgends zu erkennen, was mir allerdings auch ganz recht war, denn so konnte ich unbehelligt von ihren mahnenden Blicken den Kindergeburtstag feiern. Es war jetzt nämlich an der Zeit, das erste Spiel anzukündigen, ehe die Gruppe vollends auseinanderfiel.
    Ich rammte zwei Bambusstöcke in den Rasen und spannte eine Schnur dazwischen. An die Schnur hängte ich bereits vorbereitete Wurststückchen. Die Kinder mussten mit zusammengebundenen Händen versuchen, die Wurststücke allein mit dem Mund von der Schnur zu beißen.
    Zunächst wirkten sie nicht gerade begeistert, als ich ihnen das Spiel erklärte. Auf der Seite der Jungs spürte ich sogar eine gewisse Lustlosigkeit, als wäre es unter ihrem Niveau, Wurststücke von einer Schnur zu beißen.
    Ob sie nicht lieber Fußball spielen könnten, fragte dann auch bezeichnenderweise der kleine Herr Sartorius.
    »Fußballspielen könnt ihr woanders, jetzt machen wir Wurstschnappen«, wies ich Herrn Sartorius zurecht, der prompt nickte, was mich etwas überraschte. Ich band ihm die Hände auf den Rücken und gab den Ring frei.
    Seine ersten Versuche waren lächerlich unbeholfen. Er stellte sich auf die Zehenspitzen, streckte den Kopf nach oben und angelte mit seiner Zunge nach der Wurst. Als er merkte, dass er auf diese Weise nicht weiterkam, begann er hochzuhüpfen, vergaß jedoch zum richtigen Zeitpunkt den Mund zu öffnen, sodass er regelmäßig ins Leere biss. Ein anderes Mal versäumte er den Kopf in den Nacken zu legen und berührte die Wurst mit der Stirn. Die Koordination unterschiedlicher Bewegungen fiel ihm offensichtlich sehr schwer, und es war daher kein Wunder, dass er später Geschäftsführer der Friedrich-Ebert-Stiftung wurde. Schließlich senkte ich die Schnur so weit ab, dass er die Wurst ohne Anstrengung abbeißen konnte.
    Bei Frau Sartorius war ich allerdings weniger nachsichtig. Obwohl sie kleiner war als ihr zukünftiger Mann, der erstaunlicherweise nicht das geringste Interesse an seiner zukünftigen Frau zeigte, ließ ich die Schnur auf derselben Höhe. Zu meiner Überraschung erregte das jedoch den Unmut von Frau Hendricks, der späteren Gattin von Zahnarzt Dr. Hendricks, die gegen meine Ungleichbehandlung heftig protestierte.
    »Die Schnur hängt für alle gleich hoch«, entgegnete ich unerschrocken, »daran könnt ihr euch schon mal gewöhnen, wenn ihr es mit der Emanzipation ernst meint.« Ich war verblüfft, wie leicht mir solch strenge Worte von den Lippen gingen. Frau Hendricks machte einen Schmollmund, antwortete aber nicht darauf, vermutlich weil sie von der Emanzipation noch nie etwas gehört hatte und sich vor den anderen nicht blamieren wollte.
    Gänzlich unbeeindruckt von meiner Intervention gelang es Frau Sartorius, gleich mit dem ersten Sprung die Wurst von der Schnur zu beißen. Die Mädchen johlten, während die Jungs mit hängenden Schultern dastanden und maulten.
    Endlich kam der kleine Gunnar an die Reihe. Ich schnürte ihm die Hände besonders fest auf den Rücken.
    »Soll ich nur eine Wurst oder alle?«, fragte er und ließ durchblicken, dass dieses Spiel für ihn eigentlich keine besondere Herausforderung darstellte.
    »Angeber!«, riefen die Mädchen.
    »Schnauze!«, rief Gunnar, worauf die Mädchen tatsächlich verstummten.
    »Wenn du meinst, du schaffst es«, sagte ich ungerührt und hielt meine Hand vorsichtshalber an der Schnur, um rechtzeitig eingreifen zu können, falls er es doch schaffen sollte.
    Und wirklich hatte er das erste Wurststück schon beim ersten Sprung problemlos heruntergebissen. Es sah ganz so aus, als wäre er nicht nur ein Angeber, sondern auch noch ein erfolgreicher Angeber. Während er sich unter das nächste Wurststück stellte, hob ich die Schnur von ihm unbemerkt einige Zentimeter an. Doch anstatt zu protestieren wie die Mädchen, reagierten die Jungs nur mit höhnischem Gelächter.
    Wie erwartet verfehlte Gunnar beim folgenden Sprung die Wurst um zwei Fingerbreit. Ich bemühte mich unterdessen, meine Schadenfreude nicht zu zeigen, konnte aber ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken.
    »Die hängt jetzt höher«, hielt mir Gunnar empört

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