Wollust - Roman
zu überzeugen, ihr sei etwas zugestoßen. Vielleicht hat sie das alles geplant, wohl wissend, dass sie Chris Donatti nie wiedersehen würde, und ihre Pille weggeschmissen.«
»Und Sie glauben, sie steht einfach so auf und verschwindet ohne ihren Sohn?«
»Ja, das ist der Knackpunkt, und zwar ein großer. Es ist natürlich möglich, dass Donatti zurückgekommen ist und sie sich geschnappt hat.«
»Sich schnappen wie in: kaltmachen?«
»Vielleicht. Ich weiß es nicht. Er schien mit der Anmietung des Hauses einverstanden, als ich dabei war, aber das könnte auch gespielt gewesen sein.« Er blickte sich in der Suite um. »Wenn Terry das Hotel in Chris’ Begleitung verlassen hat, dann hat sie mir keine Zeichen hinterlassen, dass sie sich bedrängt fühlte.«
»Glauben Sie, er könnte sie umgebracht haben, ohne irgendeinen Beweis zu hinterlassen?«
»Normalerweise bleibt immer etwas zurück, aber er ist… gut in dem, was er tut. Marge und ich haben die Teppiche, die Wände, die Sockelleisten, die Abdeckprofile untersucht. Wir haben die Waschbecken- und Spülen- und Badewannenabflüsse gereinigt. Nicht der Hauch einer Blutspur. Geschweige denn Hinweise darauf, dass jemand saubergemacht hätte. Kein Geruch nach Desinfektionsmittel, keine fehlenden Handtücher, keine entleerten Kleenex-Schachteln.«
»Ihr Auto ist verschwunden«, sagte Elisa. »Wenn sie für immer
verschwunden – sprich, tot ist –, hätte sie ihre Pille vielleicht zurückgelassen.«
»Klar, sie könnte mit einem anderen Mann abgehauen sein. Donatti war aber fast wie ein Stalker hinter ihr her, daher weiß ich nicht, wie sie eine Beziehung mit jemandem hätte aufbauen sollen.«
»Selbst der fleißigste Stalker ist nicht immer gegenwärtig. Was hat ihr Sohn dazu zu sagen?«
»Er wirkt aufrichtig überrascht von ihrem Verschwinden. Vielleicht hat sie ihn nicht in ihre Pläne eingeweiht.«
»Oder es gab keine Pläne«, erwiderte Eliza. »Donatti kam zurück und hat sie getötet.«
»Oder jemand anderes hat sie getötet. Bevor wir ihre Leiche nicht finden, haben wir keinen Schimmer, worum es hier geht.« Decker ließ den Blick ein letztes Mal durch die Suite schweifen. »Ich glaube nicht, dass uns das hier noch irgendwie weiterbringt. Mal sehen, was das Personal über die liebenswürdige Dr. McLaughlin und ihren schweigsamen Sohn zu sagen hat.«
19
Das Tolle am Klavierspielen war unter anderem, dass es ihn vollkommen in Beschlag nahm. Wenn er sich darauf einließ, hatte Gabe schlicht und ergreifend keine psychischen Kapazitäten frei, um sich mit irgendwas sonst zu beschäftigen. Klavierspielen versetzte ihn an einen anderen Ort. Er war so auf sein Spiel konzentriert, dass er die Welt ausblenden konnte. Leider blieb ihm nur eine einzige Stunde tiefer Einsamkeit, bevor Hannah und die anderen zur Chorprobe antanzen würden. So, wie seine Nerven sich anfühlten – blank und jederzeit wegen nichts bereit zu reißen –, hätte ihm eine ganze Woche totaler Isolierung gutgetan: nur er und Mr. Steinway.
Hannah war als Erste da. Sie kam gleich zu ihm herüber. »Hallo.« Sie setzte sich neben ihn auf die Klavierbank. »Wohin bist du denn verschwunden?«
Gabe spürte, wie er rot wurde. »Ist es jemandem aufgefallen, dass ich weg war?«
»Ja, mir . Ich hab mir Sorgen gemacht.«
»Sorgen?« Er war verwirrt. »Warum?«
Hannah wunderte sich. »Nach allem, was mit deiner Mom passiert ist, dachte ich, du wolltest vielleicht ein bisschen vorsichtig sein.«
»Ich hab mir nur einen Kaffee geholt. Mir geht’s gut. Tu mir einen Gefallen und lass mich in Ruhe, okay?«
Sie wurde ganz still. »Ich beabsichtige nicht, dir über die
Schulter zu gucken, Gabe. Es ist nur so, dass mein Dad sich wegen dir Sorgen macht.«
»Warum? Was soll denn seiner Meinung nach passieren?«
»Wahrscheinlich macht es ihn ein bisschen unruhig, was dein Daddy tun könnte.«
Wieder spürte Gabe, wie sein Gesicht heiß wurde. »Ich sag deinem Daddy immer wieder, dass mein Daddy sich einen Scheißdreck um mich schert.« Seine Finger tanzten rauf und runter über die Tasten. »Sieh mal, dein Vater denkt wie ein Vater. Mein Vater tickt anders. Sofern ich nicht etwas besitze, was er gerne hätte, hat er für mich keine Verwendung. Als ich ein Anhängsel meiner Mutter war und es uns nur im Doppelpack gab, wollte er meine Mutter, also hatte er mich am Hals. Aber jetzt ist meine Mutter verschwunden. Logischerweise scheißt er auf mich.«
»Ich bin sicher, das stimmt so
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