Women of the Otherworld 02: Rückkehr der Wölfin
steigerte. Er war ruhig, höflich und gelassen; sein unauffälliges Äußeres verbarg einen starken Willen und einen messerscharfen Verstand. Jemand, der instinktiv die Führung übernahm, seinen Führungsanspruch aber mit genug Charme und Stil geltend machte, dass ich mich führen ließ. Ich vertraute Armen und mochte ihn. Eine ideale Kombination.
Der Rest des Tages verging ohne Zwischenfälle, aber die Nacht glich es wieder aus, indem sie mir merkwürdige, verstörende Träume bescherte. Es begann in Stonehaven, wo ich mit Clay und Nick im Schnee spielte. Wir waren mitten in einer Schneeballschlacht, als sich ein neuer Traum über den ersten schob. In diesem zweiten Traum lag ich im Bett, und Paige versuchte Kontakt mit mir aufzunehmen. Die beiden Träume begannen miteinander zu verschmelzen. In einem Moment spürte ich noch, wie mir eisiger Schnee in den Kragen rieselte, im nächsten hörte ich Paige rufen. Ein Teil meines Hirns entschied sich für die Schneeballschlacht und versuchte den zweiten Traum auszuschließen, aber es funktionierte nicht. Ich warf zwei letzte Schneebälle nach Nick, dann schlug eine Welle von Schnee über mir zusammen, schluckte den Traum und spuckte mich in den anderen.
»Elena? Verdammt noch mal, jetzt antworte schon!«
Ich kämpfte darum, zu meinen Wintervergnügungen zurückzukehren, aber ohne Erfolg. Jetzt steckte ich in dem Traum mit Paige fest. Wunderbar.
»Elena. Komm schon. Wach auf.«
Selbst im Traum wollte ich nicht antworten – als wüsste ich, dass die Illusion, mit Paige zu sprechen, mich nur noch mehr deprimieren und daran erinnern würde, dass ich seit drei Tagen keinerlei Verbindung zu ihr gehabt hatte.
»Elena?«
Ich murmelte etwas, das sogar in meinen eigenen Ohren unverständlich blieb.
»A-ha! Du bist also da. Gut. Bleib dran. Ich hole dich in meinen Körper. Mit Vorwarnung diesmal. Jeremy ist hier. Also, auf drei. Eins, zwei, drei, ta-ta!«
Fünf Sekunden Schweigen. Dann: »Oh, Scheiße.«
Paiges Fluch verklang hinter mir, während ich durch Fetzen von Träumen trieb, als zappte jemand durch TV-Kanäle und bliebe nie so lange hängen, dass ich sehen konnte, was gerade lief.
Als es aufhörte, war ich ein Wolf. Ich brauchte mich nicht zu sehen; ich merkte es an der Art, wie meine Muskeln sich bewegten, am vollkommenen Rhythmus jedes einzelnen Schritts. Jemand rannte vor mir her, eine Gestalt, die zwischen den Bäumen aufblitzte. Ein weiterer Wolf. Ich wusste das, obwohl ich nicht nahe genug herankam, um mehr als Schatten und verschwommene Bewegungen sehen zu können. Obwohl ich der Verfolger war, nicht der Verfolgte, schoss Furcht durch mich hindurch. Wen jagte ich da? Clay. Es musste Clay sein. Diesen Grad von Panik, von blinder Furcht, Furcht vor Verlust und Verlassensein – das konnte ich nur mit Clay in Verbindung bringen. Er war dort, irgendwo, irgendwo vor mir, und ich konnte ihn nicht einholen. Jedes Mal, wenn meine Pfoten auf dem Boden auftrafen, hallte ein Name durch meinen Schädel, ein Ruf in Gedanken. Aber es war nicht Clays Name. Es war mein eigener, immer wieder wiederholt; die Silben folgten dem Rhythmus meiner Schritte. Ich sah nach unten und erhaschte einen Blick auf meine Pfoten. Es waren nicht meine Pfoten. Zu groß, zu dunkel – ein beinahe goldenes Blond. Clays Pfoten. Vor mir blitzte ein buschiger Schwanz im Mondlicht. Ein weißblonder Schwanz. Ich jagte mich selbst.
Ich erwachte schlagartig und setzte mich jäh im Bett auf. Ich beugte mich schwer atmend nach vorn und fuhr mir mit den Händen durchs Haar, aber es war nicht mein Haar – kein langer Wirrwarr, sondern kurz geschnittene Locken. Ich ließ die Hände in den Schoß fallen und starrte auf sie hinunter. Kräftige, viereckige Hände mit kurz geschnittenen Nägeln. Arbeiterhände, die aber kaum jemals ein Werkzeug hielten, das größer war als ein Stift. Ohne Schwielen, aber nicht weich. Die Knochen öfter gebrochen, als ich zählen konnte, und jedes Mal sorgfältig gerichtet, so dass keine Spur blieb außer einer Landkarte winziger Narben. Ich kannte jede Einzelne dieser Narben. Ich erinnerte mich an Nächte, in denen ich wach gelegen und gefragt hatte: »Woher hast du die hier? Und die hier? Und – oops, die habe ja ich dir verpasst.«
Eine Tür öffnete sich.
»Es hat nicht funktioniert, stimmt’s?« Clays ärgerlicher, schleppender Tonfall, nicht von der Tür her, sondern von mir aus, vom Bett.
Jeremy schloss die Tür hinter sich. »Nein, Paige hat keine
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