Womit ich nie gerechnet habe: Die Autobiographie (German Edition)
Entwicklungsmöglichkeiten erhalten und dm als Gemeinschaft vorbildlich in seinem Umfeld wirkt. Inzwischen reden wir von 46 000 Mitarbeitern in über 2800 dm-Märkten europaweit. Aber dahinter stecken immer wieder Du und Ich. Diesen Dialog auf Augenhöhe jeden Tag aufs Neue zu eröffnen, das muss jeder dm-Mitarbeiter lernen und trainieren. Die Möglichkeit, mitzuwirken und teilzuhaben, macht Spaß, erfordert aber auch ein aktives Mitdenken und Mitmachen. Vom ersten Tag an übernimmt jeder Mitarbeiter ein Stück Verantwortung. Dafür muss er Freude am Kontakt mit Menschen, eine gesunde Portion Neugier und Begeisterung für dm und das Sortiment mitbringen. Teamwork ist Bedingung. Man muss sich aufeinander einstellen und gegenseitig unterstützen. Der Einzelne profitiert vom Wissen der anderen. Jeder lernt von jedem.
Lernen auf Vorrat ist sinnlos
Zentral geplante und gesteuerte Qualifizierungsprogramme hat es bei dm bis auf einige Seminare zur Unternehmenskultur nie gegeben. Selbstständigkeit kann man nicht pauken. Was in vielen Unternehmen praktiziert wird, nämlich in normierten Kursen und Workshops nur vorgefertigtes Wissen zu vermitteln, lehnten wir ab. Außerdem dauert es viel zu lange, bis ein Qualifizierungsbedarf ermittelt, in didaktische Konzepte und entsprechende Lehrveranstaltungen übersetzt werden kann. Institutionelles Lernen kommt in der Regel zu spät. Weil man nur das lernt, was man braucht. Wenn ich mir keine Frage stelle, brauche ich keine Antwort. Lernen auf Vorrat ist sinnlos. Deswegen haben wir die Mitarbeiterentwicklung an die Mitarbeiter selbst delegiert. Es gilt das Prinzip »Lernen in der Arbeit« – und das lebenslang. Die tägliche Erfahrung wird zum Lernimpuls. Neue Aufgaben und Herausforderungen ziehen sich wie ein roter Faden durch den Arbeitsalltag. So hat jeder einzelne Mitarbeiter die Chance, sich weiterzuentwickeln – einen vorgeschriebenen Berufsweg gibt es nicht.
Trotzdem kam irgendwann die Frage auf, wie in einer solchen aufs dauerhafte Lernen ausgerichteten Kultur eine adäquate Berufsausbildung aussehen kann. In den Anfangsjahren von dm war es uns gar nicht erlaubt, Lehrlinge auszubilden, weil die Ausbildungsordnung zum Drogisten noch das traditionelle Thekengeschäft vorsah. So haben wir erst 1985 überhaupt mit der Ausbildung junger Menschen in den dm-Märkten begonnen, aber damals eben noch nicht sonderlich systematisch.
Das änderte sich 1998. Zum 25-jährigen Bestehen starteten wir eine bis heute in Deutschland einzigartige Lehrlingsinitiative mit der Zielsetzung »Jede Filiale ein Lehrling«. Die Eröffnung feierten wir mit der Aktion »Spenden statt Sekt« und untermauerten die Einstellung von 700 Lehrlingen mit einer Spende von 4,3 Millionen D-Mark an soziale Einrichtungen. Vorausgegangen war – versteht sich – eine lange Projektarbeit, bei der die Voraussetzungen, Inhalte und Formate einer fundierten Ausbildung bei dm erarbeitet wurden. Zentraler Grundsatz: »Niemand kann gelernt werden, jeder muss selber lernen!«
Auch für den jugendlichen Schulabgänger gilt unser Bild vom Menschen, der sich des rechten Weges wohl bewusst ist. Er ist eben nicht »auszubilden«, also jemand, der ausgebildet werden muss , sondern jemand, der sich selbst ausbildet und entwickelt. Wir können und wollen niemandem mit Druck Wissen einbläuen, sondern wollen stattdessen lieber einen Sog herstellen, der das freiwillige und eigenständige Lernen hervorruft. Ein neuer Begriff musste her, weil die alten wieder einmal nicht taugten. Deswegen gibt es bei dm keine »Auszubildenden« oder »Lehrlinge« (sie lehren ja nicht!), sondern »Lernlinge«.
Im Rahmen ihrer Ausbildung haben sie die Möglichkeit, fachliche Kompetenz zu erlangen, aber auch ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln und eigenverantwortlich zu handeln. Das Ausbildungskonzept ist praxisnah, lässt viel Freiraum auch für Fehler und ermöglicht das eigenständige Erschließen von Wissen. Das Konzept heißt »Lernen in der Arbeit«, kurz LidA. Dabei erhalten die Lernlinge nicht nur regelmäßig Aufgaben, die sie selbstständig und unter realen Arbeitsbedingungen lösen. Sie lernen auch, Aufgaben selbstständig zu entdecken und anzugehen. Das heißt, der Ausbilder erklärt ihnen nicht, was sie tun sollen, sondern er setzt ihnen ein Ziel, und die Lernlinge müssen selbst herausfinden und gemeinsam entscheiden, was sie tun müssen oder wollen, um das Ziel zu erreichen. Indem die Lernlinge ihren eigenen Lösungsweg finden,
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