Wood, Barbara
jede
Sekunde eines jeden Tages. Diese Expedition in die Wildnis sollte die am
genauesten dokumentierte überhaupt werden.
Er dachte
an die Weite, die vor ihnen lag, an die Nullarbor-Ebene, die Eyre als »eine
widerliche Anomalie« bezeichnet hatte, »als einen Schandfleck auf dem Gesicht
der Natur, die Art von Gebiet, in das man in Albträumen gerät.« Dennoch freute
sich Neal darauf, ihre Geheimnisse zu ergründen, und seine Gefährten schienen
von ähnlichem Tatendrang erfüllt zu sein.
Außer Sir
Reginald, ihm und Fintan Rorke, Neals jungem Assistenten, gehörten der Gruppe
ein Geometer an, ein Kartograph, ein Botaniker,
ein Zoologe, drei Berufsjäger, zwei Köche und Lagerverwalter, ein Wagner,
Pferdebetreuer, ein paar kräftige Männer, die Feuerwaffen trugen und Ausschau
nach feindlich gesinnten Eingeborenen hielten, die englischen Diener, deren
Aufgabe es war, die Mahlzeiten zu servieren, die Betten zu machen und
persönlichen Anforderungen der Wissenschaftler nachzukommen, schließlich ein
militärischer Oberst, ein Colonel, der Neals
Vermutung nach als Vertreter der Britischen Krone fungierte. Franzosen,
Deutsche oder Italiener gehörten der Gruppe nicht an - Ausländern traute Sir
Reginald nicht über den Weg.
Professor
Williams, ein hagerer Mann mit einem eindrucksvollen grauen Bart, der ihm bis
auf die Brust reichte, war Zoologe. Er war nach Australien gekommen, um ein
Standardwerk über den großen südlichen Kontinent zu verfassen, unterteilt in Kapitel
über Säugetiere, Vögel, Reptilien, Fische und Insekten. Das letzte Kapitel
sollte den Aborigines vorbehalten
sein, die William in ihrem angestammten Lebensraum zu beobachten hoffte, um
dann über ihre Jagd- und Essgewohnheiten zu berichten, über ihre
Paarungsrituale, die Aufzucht der Kinder, die Verteidigung von Territorien.
Colonel
Enfield, der militärische Vertreter, war Ende dreißig und so blond,
dass sein Haar fast weiß wirkte. Mit seinen ebenfalls fast weißen Augenbrauen
und Wimpern und seiner rosa Haut sah er fast wie ein Albino aus, weshalb Neal
sich fragte, wie lange wohl der Colonel die
Wüstensonne vertragen würde. Dazu kam, dass Enfield ständig blinzelte, was darauf schließen ließ, dass er kurzsichtig war.
Die
Übrigen hatte Neal noch nicht näher kennengelernt - John Allen, den
Fährtensucher und Kundschafter; Andy Mason, den
Pferdetreiber; Billy Patton, den dicken Koch, und wer da sonst noch zu der
Gruppe gehörte. Weil er mit Fremden unterwegs war, hatte er die Goldkette, an
der das smaragdgrüne Tränenfläschchen hing, gegen eine stabile Lederschnur
vertauscht, die er um den Hals tragen und das kleine Fläschchen daran unter
seinem Hemd verstauen konnte. Nicht dass er meinte, von Dieben umgeben zu sein,
aber das Fläschchen mit den goldenen Applikationen sah nun einmal aus wie ein
kostspieliges und verführerisches Schmuckstück, und er wollte nicht eines
Morgens aufwachen und feststellen, dass es verschwunden war und einer der
Männer ebenfalls.
Noch ein
weiteres Andenken trug er stets bei sich: Hannahs Handschuh. Wann immer er ihn hervorholte, um an sie zu denken und
sich mit ihr verbunden zu fühlen, war ihm, als spürte er Hannahs Hand in seiner.
Als der
Wind an Stärke zunahm und Briefbeschwerer auf die auf den Tischen
ausgebreiteten Karten gelegt werden mussten, warf Neal einen Blick hinüber zu
seinem Gehilfen, der im dunkler werdenden Schatten eines Zeltes saß und an
einem Stück Holz herumschnitzte. Wie ein junger Bursche wirkte Fintan Rorke,
dabei war er mit seinen einundzwanzig Jahren gerade mal sechs Jahre jünger als
Neal. Als Neal einem Schreiner den Auftrag erteilt hatte, Spezialkisten für
seine gefährlichen Chemikalien anzufertigen - die für den Transport über
holpriges Gelände besonders stabil sein mussten -, hatte er auch dessen fünf
Söhne kennengelernt, die alle beim Vater in die Lehre gingen und darum
wetteiferten, Partner in seinem Betrieb zu werden. Fintan, der mittlere Sohn,
hatte sich, als Neal auf die Expedition zu sprechen kam, eingemischt und gefragt,
ob für das Unternehmen nicht auch ein Schreiner gebraucht würde. Da Neal der
Meinung war, ein geschickter Handwerker sei immer willkommen, hatte er ihn
angeheuert. Was ihm an dem Jungen gefiel, war, dass er frei von der Leber weg
redete, anstatt zu warten, bis er gefragt wurde. Sie waren auf Anhieb
miteinander klargekommen, schon weil Fintan gut gelaunt jedweder Anweisung
nachkam und über das sonnige Gemüt zu verfügen schien, das
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