Wood, Barbara
immer das Fläschchen mit der Rezeptur
umspannte, und sagte: »Ich sehe auf einmal so vieles. Hannah, das ist der Schlüssel!«
Tränen
stiegen ihr in die Augen. »Vater, ich weiß nicht, wovon du sprichst. Lass mich dich nach Hause bringen.«
Seine
Gesichtszüge verklärten sich, er lächelte voller Freude. »Ich war blind,
Hannah. Ich habe nicht verstanden.« Seine kalten Finger drückten ihre Hand so
fest, dass sich das Fläschchen schmerzhaft in ihre Handfläche grub. »Das ist
es, der Schlüssel für alles. Hannah, liebste Tochter, du stehst an der Schwelle
zu einer herrlichen neuen Welt! Ein wundersames Abenteuer ...«
Damit starb
John Conroy, mit einem Lächeln auf den Lippen, während Generationen stummer
Falconbridges schadenfroh von ihrer uralten Leinwand aus auf ihn herabsahen und
Hannah, unvermittelt allein gelassen, an seiner Brust weinte, in der krampfhaft
verschlossenen Hand das Fläschchen, das ihn letztendlich das Leben gekostet
hatte.
DIE
CAPRICA
August
1846
2
»Wenn der
Junge stirbt, Kapitän, übernehmen wir das Schiff und steuern die nächstgelegene
Küste an. Dieses Schiff ist ein Totenschiff, und wir werden nicht zulassen,
dass unsere Familien mitten auf dem Ozean krepieren.« Der wütende Ire ballte
die Faust, um seiner Drohung Nachdruck zu verleihen.
»Ich kann
Ihnen versichern«, entgegnete Kapitän Llewellyn, der das
Kommando auf der Caprica innehatte,
»dass Dr. Applewhite alles
daransetzt, um die Gefahr der Ansteckung zu bannen.«
»Ach
wirklich?«, rief ein Schotte, die Hand am schweren Belegnagel. »Wieso sterben
wir dann hier unten wie die Fliegen, und die da oben bleiben davon
unbehelligt?« Er deutete zum Achterdeck hoch, wo die vier zahlenden Passagiere
weitaus mehr Annehmlichkeiten genossen als die über zweihundert Auswanderer,
die sich im Zwischendeck der Caprica drängten.
Llewellyn atmete tief durch, um seinen Unmut im Zaum zu halten. Während der
Dreimaster rollend und schlingernd seinem Kurs über das weite Meer folgte,
musterte der missmutige Kapitän, ein stämmiger Mann mit buschigem weißen
Backenbart und rauen Umgangsformen, den aufgebrachten Iren. Bewaffnet schien er
nicht zu sein, befand Llewellyn, dennoch
dürften Mannschaft wie Offiziere, wenn es denn zu einer Meuterei kommen sollte,
schlechte Karten haben. Der Ire war ja nicht der Einzige, der sich ereiferte.
Fast hundert aufgebrachte Schotten, Waliser und Engländer hatten vorübergehend
ihre zahlreichen politischen und religiösen Differenzen vergessen und sich
neben ihm an Deck aufgebaut, vereint in der Absicht, das Schiff zu
übernehmen, falls der kleine Ritchie starb.
Als immer
mehr Aussiedler wütend an Deck drängten, warf Kapitän Llewellyn einen Blick hoch zum Achterdeck, von wo aus ein einzelner Passagier
das Geschehen verfolgte - Neal Scott, der junge Amerikaner und einer der vier
zahlenden Mitreisenden auf der Caprica, ein
Wissenschaftler auf dem Weg nach Perth, wo er auf
einem Forschungsschiff der Kolonialregierung arbeiten sollte. Ein netter
Bursche, befand Llewellyn, auch wenn
es ein wenig seltsam anmutete, dass er darauf bestanden hatte, seine komischen
Kisten mit in die Kabine zu nehmen, statt sie im Frachtraum zu verstauen. Dass
Mr. Scott den sich zuspitzenden Aufruhr aufmerksam verfolgte, war dem Kapitän
unangenehm: Scott informierte bestimmt die anderen, und dann hätte der Kapitän
seine liebe Not, die Wogen zu glätten.
Llewellyn, dessen Augen die Farbe von Glockenblumen hatten und stechend aus den
Falten seines verwitterten Gesichts leuchteten, wandte sich wieder dem Iren zu
und sah ihn durchdringend an, derweil sich hinter den aufgebrachten Männern
jetzt auch Frauen zusammenrotteten, Witwen, die Ehemänner und Kinder auf See
begraben hatten und die jetzt mit Besenstielen und Belegnägeln drohten. Es
wird zu einem Blutbad kommen, argwöhnte Llewellyn. Und keine
Seite wird gewinnen.
Obwohl er
ein guter Kapitän war und seine Mannschaft besser behandelte als üblich, wusste
er, dass das Leben eines Seemanns schwer genug war und dass seine Leute, falls
die Auswanderer die Kontrolle über das Schiff übernahmen und sich, wie zu
erwarten, großmütig zeigten, nur allzu bereitwillig den nächstbesten Felsen
ansteuern würden. Er wandte sich an seinen Ersten Offizier. »Holen Sie Dr.
Applewhite«, sagt er ruhig.
Mister
James zögerte. »Halten Sie das für angebracht, Sir? Der Doktor war bereits zum
wiederholten Male dort unten.«
Im Laufe
seiner vielen Seereisen, bei
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