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Wood, Barbara

Wood, Barbara

Titel: Wood, Barbara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieses goldene Land
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denen jedes Mal ein Schiffsarzt mit an Bord gewesen
war, hatte Kapitän Llewellyn die
Erfahrung gemacht, dass man nie genau wusste, woran man mit dem jeweiligen
Mediziner war. Schon weil sie, anders als die Besatzung, keinem Reglement
unterstanden. Llewellyn hatte
jahrelang als Matrose gedient und im Anschluss daran ein
umfangreiches Navigationsstudium absolvieren müssen, das neben Sternkunde
Kartenlesen beinhaltete, ferner die Bedienung eines Sextanten und die
Einschätzung der Windrichtungen, ehe er sein Kapitänspatent erhielt. Im
Gegensatz dazu konnte sich quasi jeder X-beliebige als Arzt ausgeben. Es gab
keine bestimmten Voraussetzungen, keine festen Vorschriften, nichts, wodurch
die Kompetenz eines Mediziners nachgewiesen werden musste. Private
Einrichtungen, in denen man sich in nur sechs Monaten zum Arzt ausbilden lassen
konnte und mit einem Diplom entlassen wurde, schossen wie Pilze aus dem Boden.
Wenn man einen Schiffsarzt anheuerte, wusste man also nie, ob er zu denen
gehörte, die nur über ein Grundwissen und kaum Erfahrung verfügten und eine
Eiterbeule nicht von Wundschorf unterscheiden konnten, oder ob es sich um einen
Absolventen aus Oxford handelte, der jeden Nerv des menschlichen Körpers
benennen konnte und für jedes seiner hochgestochenen Worte einen Schilling in
Rechnung stellte. Llewellyn hatte
genug solcher Scharlatane und Snobs an Bord gehabt, um Applewhite, mal über den Daumen gepeilt, unter die Fähigeren einzureihen. Wenn
einer die Ansteckungsgefahr eindämmen konnte, dann war es Applewhite.
    »Bringen
Sie ihn her«, wiederholte er leise, »schon um diese Raubeine zum Rückzug zu
bewegen.«
     
    »Wie
auffallend ruhig es draußen ist«, meinte Mrs. Merriwether
und schaute vom Salon aus durch die offene Tür in Richtung Niedergang.
»Normalerweise kann man die Pfeifen und Fideln der Aussiedler auf dem Hauptdeck
hören. Dass es so still ist, mutet direkt unheimlich an.«
    »Nicht
doch«, meinte ihr Ehemann, der Reverend Merriwether, begütigend, ohne sich
seiner Sache sicher zu sein.
    »Ich bin
überzeugt, dass Kapitän Llewellyn alles im
Griff hat«, warf Hannah Conroy ein, da die beiden so verstört waren.
    Die
Merriwethers waren ein Missionarsehepaar auf dem Weg nach Australien. Hannah
mochte die Frau des Reverends, eine
rundliche Mittfünfzigerin, die ein blauweiß gestreiftes Reisekleid trug und
wie Hannah ihr Haar in der Mitte gescheitelt und hinten zu einem Knoten
zusammengefasst hatte (nur dass sich über ihren Ohren noch ein paar längst aus
der Mode gekommene Löckchen ringelten, die beim Sprechen auf und nieder
wippten).
    Der
Reverend selbst war korpulent und wartete neben einem sonnigen Gemüt mit einer
spiegelblanken Glatze auf - ein Schönheitsfehler, den er, wie Hannah
vermutete, durch einen überaus buschigen grauen Backenbart wettzumachen suchte.
    Die
Merriwethers hatten Hannah im wahrsten Sinne des Wortes gerettet.
    Obwohl
eine gerichtliche Untersuchung ergeben hatte, dass Lady Margaret eines
natürlichen Todes gestorben und obwohl der Name von Hannahs Vater reingewaschen worden war, schien danach nichts mehr zu sein wie
vorher. Mochten die Dorfbewohner John Conroy noch so sehr geschätzt haben -
ihre Angst vor Lord Falconbridge war größer. Und je länger der Baron und Dr.
Willoughby dem Quäker unterstellten, für den vorzeitigen Tod der Baronin
verantwortlich zu sein, umso nachhaltiger wurde der Name Conroy verunglimpft. Mrs. Endicott, die Frau des Geflügelzüchters, die Hannah gebeten hatte,
ihr bei ihrer neunten Entbindung zur Seite zu stehen, sagte ihr mit einem »Tut
mir leid, aber ich muss Rücksicht
auf meine Kundschaft nehmen« ab. Als ob schon der Name Conroy ihren Hühnereiern
Schaden zufügen könnte! Für Hannah stand fest, dass niemand ihre Dienste in
Anspruch nehmen würde, dass Bayfield nicht
länger ihr Zuhause war.
    Das galt
nicht nur für Bayfield, sondern
auch für England. Wo immer sie sich auch niederließe, sie würde auf die
gleichen Vorurteile stoßen, auf die gleiche Engstirnigkeit, die letztlich zum
Tod ihres Vaters geführt hatte. Hatte er nicht mit ersterbendem Atem gesagt:
»Du stehst an der Schwelle zu einer herrlichen neuen Welt!« Aus diesem Grund
wollte Hannah in eine neue Welt aufbrechen. Und wenn sie sich dort ein neues
Leben aufbaute, könnte sie möglicherweise hinter das Geheimnis von John Conroys
weiteren letzten Worten kommen, für die sie keine Erklärung fand: Zum einen
ging es da um die »Wahrheit« über den Tod ihrer

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