Wood, Barbara
mehr Grund für mich zu bleiben.«
Um den
neugierigen Blicken der Besucher zu entkommen, schlug Alice vor, ein wenig
frische Luft zu schnappen. Sie führte Fintan die Treppe hinunter und durch
eine Hintertür, die ins Freie führte. Der junge Mann atmete erst einmal tief
durch. Der aufdringliche Geruch auf der Station war schier unerträglich
gewesen. Er hatte schon befürchtet, sein Hals würde für immer wie zugeschnürt
sein. Während die beiden einem schmalen, von Mondlicht und in größeren
Abständen von Gartenleuchten erhellten Kiesweg folgten, vorbei an frisch
angelegten Beeten und an Büschen, die noch mit Sackleinen umwickelt waren, aber
bereits blühten und offenbar bald eingepflanzt werden sollten, klärte ihn Alice
darüber auf, dass das, was so beißend roch, Chlor sei, und dass die vier
Freundinnen beschlossen hätten, Hannah in einer schwierigen Situation im
Hospital beizustehen.
Sie
berichtete Fintan über die Arbeit, die sie seit dem Nachmittag im Hospital
verrichtete. »Da ich noch nie Kranke gepflegt habe, kannte ich mich zunächst
nicht aus. Hannah hat uns eingewiesen.«
Fintan
hörte nur mit halbem Ohr zu. Den ganzen Tag über hatte er an Alice gedacht,
hatte sich darauf gefreut, sie im Theater wiederzusehen. Als er dann erfuhr,
sie befinde sich im Victoria Hospital ...
Bis zu
diesem Augenblick war er sich nicht im Klaren darüber gewesen, welch tiefe
Gefühle er für sie hegte. Sein Engel verletzt oder krank oder möglicherweise
noch schlimmer dran! Undenkbar. Aber zum Glück ging es ihr gut, sie war
keineswegs krank, verrichtete vielmehr wohltätige Arbeit, ein wahrer Engel,
befand er, während er neben ihr herschritt. Er war fest entschlossen, ebenfalls
zu bleiben, für den Fall, dass es vor dem Hospital zu einem Tumult kam.
Sie
blieben auf dem Kiesweg stehen. »Wirklich bewundernswert, was Sie hier
leisten, Alice Star.«
Ihr Herz
tat einen Sprung, als sie ihm in die schwarzen Augen schaute. Fintan Rorke
wühlte sie auf wie noch kein Mann zuvor. Etwa weil er so unglaublich gut
aussah? Oder weil er so hinreißend schüchtern war? Wegen seiner Begabung,
lebloses Holz in Kunstwerke zu verwandeln? Oder war es die Tragödie, die er in Galagandra
miterlebt hatte? Es ist dies alles und mehr, ging es ihr durch den Kopf. Fintan
bewegte sie in so vieler Hinsicht.
Sie
wünschte sich nichts sehnlicher, als all dies zu erkunden.
»Ich
leiste nicht so viel wie etwa Blanche. Sie hat uns gestanden, dass sie ihr
ganzes Leben lang eine Todesangst vor Hospitälern hatte. Sie hätten sie heute
Nachmittag sehen sollen, Fintan. Allein durch die Eingangstüren zu treten
kostete sie große Überwindung. Und erst recht, sich den Patientinnen zu
stellen. Den ganzen Abend über hat Blanche tapfer gegen ihre Ängste angekämpft.
Dabei war es ihre Idee gewesen, herzukommen und Hilfe zu leisten, als Hannah
erwähnte, das Personal auf der Station sei weggelaufen. Schon weil Hannah und
Dr. Iverson alle Hände voll zu tun haben, um herauszufinden, was der Auslöser
für das Fieber ist.«
»Ich
dachte immer, schlechte Luft sei schuld daran.« Fintan hätte lieber über etwas
anderes gesprochen. Hätte Alice gern in den Arm genommen, sie gestreichelt.
»Es heißt,
das Hospital sei auf heiligem Grund und Boden der Aborigines erbaut worden und
deshalb vom Unglück verfolgt, ein Fluch laste auf ihm und demzufolge sei eine
Seuche ausgebrochen. Ich halte natürlich nichts davon, aber das Personal ist
durchwegs irischer Abstammung, und da können Sie sich ja vorstellen, wie
abergläubisch diese Leute zuweilen sind.« Sie warf ihm ein neckendes Lächeln
zu.
Fintan
lächelte ebenfalls, wurde dann aber ernst. »Im Mondlicht sahen Sie noch
schöner aus, liebe Alice. Ich begreife nicht, warum Sie nicht verheiratet sind.
Oder gibt es da jemanden in Ihrem Leben, und Sie möchten nicht, dass man es
erfährt?«
»Da ist
niemand.« Sie war noch immer überwältigt von Fintans unerwartetem Auftauchen.
Dabei hatte er den ganzen Tag über ihre Gedanken beherrscht. Dass er jetzt
neben ihr herschritt, war zu schön, um wahr zu sein. Wie elegant er in seinem
Gehrock wirkte (dabei hatte er seinen Hut im Hospital gelassen)! »Lange Zeit
habe ich mir eingeredet, dass meine Karriere als Sängerin mein Leben ist, dass
ich weder Ehemann noch Kinder brauche und auch keine Liebesromanze. Zu dieser
Überzeugung zu kommen war leicht, Mr. Rorke, denn kein Mann hat je mein Herz
gestohlen.« Und fügte insgeheim hinzu: bislang.
»Warum
reden Sie
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