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Wood, Barbara

Wood, Barbara

Titel: Wood, Barbara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieses goldene Land
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Augen zeichnete sich ein Anflug von schlechtem Gewissen ab. »Ich
hatte damit gerechnet, dass sich meine Mum um den
kleinen Robbie kümmern würde. Jetzt kränkeln sie beide, und ich hab einfach
nicht genug Zeit für sie.«
    Ehe Hannah
mit dem Einspänner wieder auf die Hauptstraße bog, drehte sie sich nochmals um
und schaute zum Haus zurück.
    Dann nahm
sie ein Blatt Papier zur Hand, von dem sie, um Eindrücke schriftlich
festzuhalten, neben Feder und Tintenfass stets einen kleinen Vorrat bei sich
führte, breitete es auf ihrem Schoß aus, tauchte die Feder in die Tinte und
fertigte eine Skizze von Mary McKeeghans Haus an.
     
    12
     
    War es
nicht doch zu vermessen gewesen, fragte sich Alice beim Anblick all der
hübschen Mädchen, die sich vor dem Varieté-Theater zur Vorauswahl eingefunden
hatten. Bestand denn für sie auch nur der Hauch einer Chance, angenommen zu
werden?
    Sie war
allein in die Stadt gefahren. Hannah wollte sie ursprünglich begleiten, war
dann aber zu einer Entbindung gerufen worden; verständlich, dass es wichtiger
war, einer Schwangeren beizustehen.
    Da
nirgendwo Schminke aufzutreiben war, hatten Hannah und Mrs. Guinness sie bei der Auswahl einer Haube beraten, die die Narbe an
ihrem Kopf verdeckte, und ihr dann mit Bleistift die nicht vorhandene Augenbraue
aufgemalt. »Wichtig ist, dass du deine positiven Seiten betonst«, hatte Hannah
gesagt und ihr mehrere naturblonde Löckchen von der anderen, der besseren Seite
so arrangiert, dass sie jetzt wie ein Strahlenkranz ihre leuchtend blauen
Augen umrahmten. Und sie hatten zusammengelegt, um ein Kleid nach der neuesten
Mode für sie zu erstehen, das keineswegs auffällig, sondern eher schlicht und
umso geschmackvoller war.
    Auf ihrem
Weg zum Varieté hatte sie sich noch Hoffnungen gemacht. Aber beim Anblick dieser
Mädchen verließ sie der Mut. Nicht alle kamen zum Vorsingen, aber die meisten
waren unglaublich attraktiv; neben ihnen kam sich Alice wie ein Stock vor,
noch dazu wie ein hässlicher.
    Die Türen
öffneten sich, man drängte ins Innere. Alice gelangte in eine der neumodischen
Saloon-Bars, wo die Gäste auf Stühlen an kleinen Tischen sitzen und essen,
trinken und rauchen und gleichzeitig das Programm auf der Bühne verfolgen
konnten.
    Mit
prüfendem Blick bewegte sich der Impresario durch die Menge, schickte den einen
oder anderen Bewerber in verschiedene Bereiche seines Etablissements weiter -
Männer, die als Kellner, als Barkeeper oder Hausmeister arbeiten wollten, und
Frauen, die darauf hofften, sich ihr Geld in der Küche oder hinter der Bühne zu
verdienen. Um die Artisten kümmerte sich Sam Glass persönlich,
rief sie einzeln auf die Bühne und sah entweder geduldig zu, wie sie
jonglierten, Salti schlugen, Tauben aus ihren Jacken zauberten, oder aber
winkte schon nach kurzer Zeit verärgert ab.
    Glass trug einen braunen Anzug und darunter eine Weste mit
Schachbrettmuster, und seinen Kopf bedeckte eine Tweedkappe. Seine raue tiefe
Stimme ließ an Sandpapier denken, und unentwegt kaute er an dem aufgeweichten
Ende einer Zigarre herum. Was besonders an ihm auffiel, war sein Schnurrbart -
ein schnurgerader schwarzer Strich über der Oberlippe, wie mit Kohle gezogen.
    Da sich
viele der Darbietungen schon bald als zu stümperhaft für das neue Elysium Varieté-Theater erwiesen, ging es flott voran. Als Alice an der Reihe
war und die Stufen zur Bühne hochstieg, musterte Glass sie von oben bis unten. Hübsche Augen. War ihr Haar naturblond? Umso
besser. »Nimm die Haube ab«, sagte er.
    »Meine
Haube?«
    »Auf der
Bühne wirst du auch keine tragen. Die Leute wollen dein Haar sehen. Also runter
damit.«
    Alice
schaute hinunter auf die noch Wartenden, die vollauf damit beschäftigt waren,
sich auf ihren eigenen Auftritt vorzubereiten - ob sie nun sangen, rezitierten
oder ein Instrument spielten -, und nicht mitbekamen, was zwischen ihr und Sam
Glass vor sich ging, der mit einem großen Bier an einem der
Tische saß und jetzt losbellte: »Na wird's bald! Ich hab nicht ewig Zeit. Nimm
die Haube ab oder verlass die Bühne.«
    Sie kam
der Aufforderung nach. Als ihr Gesicht und ihr Schädel vom Scheinwerferlicht
erfasst wurden, stieß Sam aus:
»Großer Gott! Soll das ein Witz sein?« Er kniff die Augen zusammen und beugte
sich vor. »Bist du in einen Fleischwolf geraten?«
    Als er
ihre Verlegenheit bemerkte, sagte er um einiges freundlicher: »Hör mal, Kindchen,
du magst ja die schönste Stimme der Welt haben. Aber meine Gäste haben

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