Wood, Barbara
Stufen zu ihrem Hotel hinaufstapften, um sich ihre
Briefe von zu Hause abzuholen.
Hannah war
jetzt seit fünf Wochen hier draußen und versuchte, Kontakte zu knüpfen. Jeden
Morgen stieg sie, ausgerüstet mit ihrer blauen Teppichtasche, einer
Gebietskarte und einem Imbiss aus kaltem Hühnchen- oder Rindfleisch, Brot und
Käse sowie einer Flasche mit gesüßtem Tee in den gemieteten Einspänner und
klapperte so viele Farmen und Gehöfte wie möglich ab, stellte sich dort vor und
hinterließ ihre Visitenkarte: Hannah Conroy,
Diplomierte Hebamme, Ausgebildet in London.
Heute war
sie allein unterwegs. Durch eine glückliche Fügung benötigte Mrs. Guinness eine Küchenhilfe, und somit hatte Alice eine Anstellung im Australia Hotel gefunden. Und weil sie unbedingt an der Vorauswahl im neuen Varieté-Theater
teilnehmen wollte, probte sie abends, zur Klavierbegleitung von Mrs. Guinness' Tochter, im Salon des Australia Hotels. Ihre Zuhörerschaft war jeden Abend eine andere, was bei dem
ewigen Kommen und Gehen von Viehtreibern, Rinderzüchtern und Schafscherern weiter
kein Wunder war. Alle aber lauschten gebannt Alices musikalischem Vortrag und
stimmten überein, dass ihre Stimme wie gesponnenes Gold klang (auch wenn ein
taktloser Kerl unüberhörbar gemeint hatte: »Sie ist überirdisch, solange man
sie nicht anschaut.«).
Hannah
lenkte den Einspänner durch eine breite Toreinfahrt, über der abermals das
Schild Seven Oaks Station prangte, obwohl weit und
breit keine Eiche zu sehen war, im Gegensatz zu den Straßen in Adelaide, in
denen man Eichen und Ulmen aus England angepflanzt hatte; selbst das Haus von
Lulu Forchette war von aus Europa importierten Blumen umgeben, und auch um
andere Gehöfte in der hügeligen Landschaft hatte man kräftig gerodet, um Platz
für Weiden und Pappeln aus der Heimat zu schaffen.
Seven
Oaks mit seinen Eukalyptusbäumen und Akazien schien eine
Ausnahme zu bilden.
Da die
Zeit der Lammung angebrochen war, kam Hannah an einem Schafpferch vorbei, in
dem sich Hunderte von Mutterschafen mit ihren Kleinen drängten. Etwas weiter
weg davon befand sich ein weiteres umzäuntes Gehege, in dem sich Angus-Kälbchen
am Euter ihrer weidenden Mutterkühe gütlich taten, gut bewacht von eifrig hin
und her jagenden Hunden. Auf einer anderen Koppel waren Männer hoch zu Pferd
mit einer Rinderherde beschäftigt. Emsiges Treiben herrschte auf diesem Gehöft
mit seinen zahlreichen Ställen, den Scherschuppen, dem Platz zum Holzhacken und
den Unterständen fürs Melken. Selbst einen Hühnerstall gab es. Kein Wunder,
dass sich das Blöken der Schafe, das Muhen der Kühe, das Bellen der Hunde und
das Gebrüll von Männern zu ohrenbetäubendem Lärm verband, in den sich von oben
auch noch das Kreischen unzähliger Krähen mischte.
Als das
Haupthaus in Sicht kam, brachte Hannah den Einspänner zum Stehen. Was sie sah,
erschien ihr wie eine Fata Morgana.
Das
Wohnhaus von Seven Oaks bildete
ein großzügiges Rechteck mit nur einem Stockwerk und einem Satteldach. Eine
breite Veranda mit kunstvoll gearbeitetem Geländer verlief drumherum, das Dach
wurde von dekorativen Eisenpfosten gestützt. Die Holzverschalung des Hauses
war in ihrer natürlichen Farbe belassen worden, dafür waren Fensterstöcke und
Türrahmen, das Geländer und die Pfosten weiß gestrichen. Ein schlichtes und
doch stattlich-elegantes Haus. Drumherum zog sich ein schön gestalteter Garten
hinunter zu einem Teich mit schwarzen Schwänen, Enten und anderen Wasservögeln.
Wie
gebannt saß Hannah da, hatte die Zügel in ihren Händen völlig vergessen.
Irgendetwas an dem Haus von Seven Oaks hatte eine
Saite in ihr zum Klingen gebracht. Warum, vermochte sie nicht zu sagen. Wie
soll man erklären, warum bestimmte Orte einen ansprachen und andere nicht? Sie
sah die australischen Eukalyptusbäume, die das Haus abschirmten, wie sie auf
das Dach silberne Rinde und goldene Sonnensprenkel rieseln ließen. Sie hörte
das Summen der Insekten um sie herum, spürte, wie die Sonnenwärme durch das
Verdeck drang und Zeit und Raum vergessen ließ.
Genau das
hier war es, eingebettet in sanfte grüne Hügel, die mit Herden weißer Schafe
bevölkert waren, darüber ein blauer endloser Himmel, inmitten der Stille und
dem Getriebe des australischen Landlebens - das Haus ihrer Träume.
Hannah
fuhr weiter bis zu einem Pfosten, an den sie Pferd und Wagen band. Als sie über
die Stufen zum vorderen Teil der Veranda auf eine massive Eingangstür mit
einer Fensterscheibe
Weitere Kostenlose Bücher