Wood, Barbara
des
Fensters stand, auf einem Schaukelaufsatz, eine Wiege, aus der kein Laut zu
vernehmen war.
»Er ist,
wie gesagt, fünf Monate alt und war bis vor zwei Wochen munter und fidel. Wir
kamen von der Beerdigung zurück, und es war, als wüsste er, dass seine Mama
fort ist. Sylvie hat ihn drei Monate lang gestillt, dann hat sie ihn auf
gezuckerte Milch umgestellt, die er mit großem Appetit zu sich nahm. Sie konnte
ihn damit allein lassen, er hat sich dann selbst bedient. Aber inzwischen ...« Mrs. McKeeghan beugte sich über die
Wiege, nahm das Keramikfläschchen mit dem dünnen Kinderbrei und hielt den
Schnuller an die Lippen des Babys. Der Kleine wandte den Kopf ab. »Er will
einfach nicht trinken«, sagte Mary.
Das
Breifläschchen war aus Staffordshire-Keramik und leicht geschwungen. Für gewöhnlich
wurden die in Alkohol eingelegten Zitzen einer Kuh als Schnuller über die
Öffnung gestülpt, aber hier hatte man zu Mull gegriffen, an dem das Kind
herumnuckeln konnte.
Hannah zog
die Babydecke weg und erschrak, als sie sah, dass der Kleine nur noch Haut und
Knochen war. Sie schnippte mit den Fingern in Höhe seines Ohrs. Er reagierte
nicht auf das Geräusch. »Ist er taub?«
»O nein.
Sonst hat er immer Anteil an allem genommen, was um ihn herum passierte. Es
ist, als ob ihm alles egal wäre.«
»Rollt er
sich auf den Bauch?«
»Er fing
damit an, ließ es dann bleiben.«
Was immer
Hannah für Geräusche machte, ob sie ihn kitzelte oder anlächelte - das Baby
verzog keine Miene. Sie hörte mit ihrem Stethoskop den kleinen Brustkasten ab,
das winzige Herz im Inneren, das um sein Leben kämpfte. Als sie das Instrument
wieder einpackte, war sie drauf und dran, Mary McKeeghan zu sagen, dass ein
Säugling mehr brauche als dünnen Kinderbrei, den man ihm zur Selbstbedienung
ins Bettchen legte. Dass er auch Zuwendung brauche, menschliche Wärme,
Hautkontakt, sonst würde er verkümmern und sterben. Dann aber sah sie Marys
müdes Gesicht, sah die Falten um Augen und Mund, die von Kummer und Sorgen und
Erschöpfung sprachen, und erkannte, dass das Leben dieser Frau Anforderungen an
sie stellte, die schon jetzt ihre Kräfte überstiegen.
»Mit dem
Baby und auch mit meiner eigenen Mutter weiß ich einfach nicht mehr weiter«,
sagte Mary, so als könnte sie Hannahs Gedanken
lesen. »Ausgerechnet jetzt, wo die Lammung in vollem Gange ist und Hochbetrieb
herrscht. Sogar meine beiden Kinder hab ich eingespannt, sie müssen die
Teerpflöcke im Scherschuppen auswechseln.«
»Was fehlt
denn Ihrer Mutter?«
Mary nahm
Hannah mit ins nächste Schlafzimmer, zu einem Bett, in dem eine Frau um die
Fünfzig und mit leicht ergrautem Haar in Seitenlage die Wand anstarrte. »Seit
dem Begräbnis liegt sie so da. Ich hab sie beschworen, aufzustehen und was zu
essen, aber sie will nicht. Ich glaube, sie kann uns nicht mal hören.«
Hannah
griff nach dem Handgelenk der völlig apathischen Frau und fühlte
ihren Puls, fasste an ihren Hals, strich ihr über die Stirn, um auf sich
aufmerksam zu machen. Aber Mary McKeeghans Mutter reagierte nicht, starrte
weiterhin die Wand an.
Gedeihstörung
bei dem einen, die andere auf dem besten Weg, sich aufzugeben, konstatierte
Hannah.
Sie ging
zurück ins Kinderzimmer, hob das Baby samt Fläschchen aus der Wiege und begab
sich wieder in das andere Zimmer. »Was haben Sie vor?«, fragte Mary McKeeghan.
»Etwas,
was ich mal bei meinem Vater gesehen habe.« Sie stellte das Fläschchen auf den
Tisch neben dem Krankenlager, beugte sich dann über Mary McKeeghans Mutter und
bettete das Baby so, dass es ihren warmen Busen spürte, fetzt dem Baby noch ein
Kissen in den Rücken gestopft, und schon konnte sich der Kleine behaglich an
die Großmutter schmiegen.
Hannah
richtete sich wieder auf. »Wie heißt Ihre Mutter?«
»Naomi.«
»Naomi«,
sagte Hannah und berührte die Schulter der so passiv anmutenden Frau, »Naomi,
wenn Sie Ihren Enkel füttern möchten - sein Fläschchen steht hier am Bett.«
Zurück im
Salon fragte Mary McKeeghan: »Was soll das bewirken?«
»Ich weiß
es nicht genau«, gestand Hannah ein. »Vielleicht klappt's auch nicht. Aber
zumindest ist es den Versuch wert. Schon weil mir nichts Besseres einfällt, um
beiden zu helfen.«
»Danke für
Ihren Besuch«, sagte Mary, als sie Hannah hinausbegleitete. »Und für Ihre
Bemühungen. Ist nicht so einfach, bei der Niederkunft der Schafe und beim
Scheren mitzuhelfen und diese Horde von Männern zu verköstigen und alles.« In
den grünen
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