Word-OleSte-DerTou
Hinweise auf den Täter. Während er die Zeitung aufs Bett legte und die Kleider abstreifte, dachte Milo, dass sie auch nie welche finden würden.
In seiner Touristenzeit hatte ihn der Schlaf auch manchmal auf diese Weise übermannt. Er war gegen eine Wand von Informationen gelaufen, bis er physisch und mental erschöpft war. Nicht einmal Touristen können so viele Zusammenhänge im Handumdrehen herstellen. Dazu braucht es Zeit und Überlegung, wie in der Kunst. Milo war nicht besser als jeder andere Durchschnittstourist, und als er sich am Abend duschte und anzog, war sein Kopf noch immer überlastet von zu viel Wissen.
Er wurde nicht einmal misstrauisch, als Einner sagte: »Ich muss am Morgen los.«
»Ach?«
»Anruf. Auf zu neuen Ufern. Meinst du, du kommst allein klar?«
»Ich werd's versuchen.«
Er hielt es nur eine Stunde im Platinum Glam Club aus, einem schicken Glitzeretablissement am Quai du Seujet, gegenüber der Stelle, wo die Rh o ne aus dem Genfer See floss. Nach fünfzehn Minuten war er taub von der wummernden Technomusik und der ihn umdrängenden reichen Schweizer J ugend, die sich kreischend verständigte. Lichter blitzten, Laser zuckten über die Wände, und schon bald hatte er Einner aus den Augen verloren, der in einem Pulk zur Tanzfläche strebte. Im Eintritt war ein Gratisgetränk enthalten, aber es war ihm viel zu anstrengend, sich zur Bar durchzuwühlen, wo gebräunte J ünglinge mit gebleichten Stachelfrisuren im Rhythmus der ohrenbetäubenden, von einem gewissen Dj J azzy Schwartz aufgelegten Musik mit Flaschen jonglierten. Als er zurückwich, streifte er hübsche Mädchen mit vielfarbigen Longdrinks und kurzen Röcken, die ihn gar nicht wahrnahmen. In seiner Not versuchte er, sich zu den Sofas an den Wänden durchzukämpfen, doch als er dort ankam, waren alle schon besetzt. Da er sowieso nicht wusste, was er hier sollte, machte er sich auf den Weg zum Ausgang.
Als die Tür schon in Sicht war, stellte sich ihm eine Frau mit schwarzem, glattem Pony und Silberlame-Kleid in den Weg. Sie trug einen Mojito vor sich her und plärrte ihm mit einem strahlenden Lächeln etwas entgegen, was er nicht verstand. Er tippte an sein Ohr, um ihr zu zeigen, wo es hakte. Daraufhin fasste sie ihn mit der freien Hand im Nacken und drückte ihm den Mund ans Ohr. »Willst du tanzen?«
Während er den Kopf schüttelte, berührte er sie an der nackten, feuchten Schulter, um sie nicht zu kränken; er hatte einfach keine Lust.
»Dein Freund sagt aber, dass du willst«, zischte sie, als hätte sie ihn bei einer Lüge ertappt.
Als Reaktion auf sein verständnisloses Gesicht deutete sie nach hinten. Hinter einem Haufen sorgsam gestylter Frisuren bemerkte er Einner, der mit einer anderen jungen Frau einer Blondine, die genauso groß war wie er - auf und ab hüpfte und Milo den erhobenen Daumen zeigte.
»Er hat schon bezahlt!«, rief die Frau mit dem Pony.
Milo brauchte ziemlich lang, um zu kapieren - irgendwie war er in letzter Zeit wirklich nicht mehr der Schnellste. Er drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Ein andermal.«
Sie packte ihn am Arm, als er wegwollte. »Was ist mit dem Geld?«
»Behalt es.«
Er machte sich los und kämpfte sich durch eine hereinströmende Schar junger Männer in grauen Anzügen und Krawatten. Schließlich stieg er die Treppe zur kühlen Straße gegenü ber der Rho ne hinauf. Seine Ohren dröhnten. Das Gedränge hier draußen war fast genauso schlimm - alles lautstarke Nachtschwärmer, die von den vier muskulösen Türstehern abgewiesen worden waren. Manche fanden es auch so ganz schön und genossen Bier und Zigaretten am Randstein. Eine Betrunkene wirbelte hinaus auf die Straße, und ihre Red-Bull-Dosen schwenkenden Freundinnen lachten dazu. Ein vorbeifahrender Mercedes hupte sie an, bis sie quiekend zur Seite sprang. Milo schlenderte zurück Richtung Hotel.
Der Ausflug in den Club hatte ein hohles Gefühl in ihm hinterlassen. Einner war noch jung. Für ihn waren die europäischen Städte ein Zauberland voller Musik, Gewalt und Gelegenheitssex. Auch Milo war es früher so gegangen ... aber irgendwann nicht mehr. Irgendwann merkte er, dass die europäischen Städte wie eine einzige Stadt waren, eine Stadt mit großem Potenzial, aber ohne jede Abwechslung. Er blieb nie lang genug, um die Nuancen zu entdecken, die einem Ort seine Besonderheit verliehen. Für ihn waren alle Städte nur Teil der hellen Lichter einer abstrakten Stadt; das Wo spielte dabei überhaupt keine
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