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am JFK. Doch nachdem er ewig in der endlos gewundenen Passkontrollenschlange gewartet hatte, die ihn an Disney World erinnerte, verlief Lionel Dolans Grenzübertritt in die Vereinigten Staaten von Amerika völlig reibungslos. Er mietete einen Hertz-Chevrolet von einem steifen Jüngling mit Pickelgesicht und ließ vor der Ankunftshalle die Autoschlüssel um den Finger kreisen, während er den Reisenden zuschaute, die sich auf überdimensionierte Koffer stützten und mit gehetzten New Yorker Taxifahrern über Fahrpreise diskutierten. In den Ecken lauerten Polizeibeamte, die mit Funkgeräten und anderen Gegenständen behängt waren. Doch soweit er das erkennen konnte, interessierte sich absolut niemand für den fahrigen Typen Ende dreißig, der sich immer wieder übers Kinn fuhr und sich nach allen Seiten umsah. Schließlich machte er sich auf den Weg zu seinem Chevy.
Milo hätte gern die Sachen aus seinem geheimen Lagerraum abgeholt. In der kleinen Garage hatte er Geld, weitere Kreditkarten, alte Ausweise und mehrere nützliche Waffen gehortet. Doch stattdessen fuhr er nach Norden zur 1-95, von Long Island weiter nach New Rochelle und dann nach Westen in Richtung Paterson. Die Garage war zwar verlockend, doch er musste davon ausgehen, dass sie enttarnt war. Er begriff, dass er ein Idiot gewesen war und im Lauf der Jahre wahrscheinlich einen Haufen Fehler gemacht hatte. Bestimmt warteten dort jetzt mehrere breitschultrige Company-Leute in schwarzen Geländewagen mit voll aufgedrehter Klimaanlage.
Er fuhr schnell, aber nicht auffallend hektisch, und als er sich in New Jersey parallel zu Manhattan wieder nach Süden wandte, hatte er bis zum Lake Hopatcong bloß noch eine Stunde vor sich. Wusste Tom, dass er zu ihm unterwegs war? Wahrscheinlich vermutete er es. Hatte er von der Company Verstärkung angefordert? Milo musste sich eingestehen, dass er keine Ahnung hatte. Ihm blieb nur, sein Auto auf eine Weise zu steuern, die den radarbewaffneten New-JerseyCops keinen Anlass gab, ihn herauszuziehen.
Bald spannten sich Berge über den Highway. Bei den gelegentlichen Wochenendfahrten mit seiner Familie zu den Graingers war es stets ein sonderbares Gefühl gewesen, festzustellen, wie viel pralle Natur es in unmittelbarer Nähe von Manhattan gab. In der Stadt konnte man glauben, dass die ganze Welt aus Beton, Stahl und Glas bestand. Der Anblick der Wälder war immer wieder eine Überraschung. Wie schon damals auf dem Weg nach Portoroz, in der ersten Phase einer Reise, die ihn letztlich zu Tina und Stephanie führte, dachte er, dass man so etwas wie Gleichgewicht nur in den Bergen erfahren konnte.
Nein, er war zu alt, um an die Verheißung neuer Orte zu glauben. Damals als Tourist hatte er nicht wissen können, dass die Menschen die Geografie ausmachen. Nur sie verleihen der Natur einen Charakter. Wo seine Familie war, da gehörte auch er hin.
Genau auf dieser Straße waren er, Tina und Stephanie raus zu Tom und Terri gefahren, als sie noch lebte. Terri Grainger war eine schizophrene Persönlichkeit gewesen, die an manchen Tagen d ie ganze Welt zum geselligen Bei sammensein, Trinken und Feiern einladen wollte und sich an anderen nur nach der Einsamkeit hier draußen sehnte und es nicht einmal mit ihrem Mann aushielt. Doch wenn sie gut drauf war, war sie eine großartige Gastgeberin, die Tina sogar ein Ersatz für die schmerzlich vermissten Eltern in Texas sein konnte.
All diese Ts: Tom, Terri, Tina und Texas. Milo grinste, als er sich an eine Bemerkung Tinas über Patrick und Paula in Paris erinnerte.
Wochenlang begleitete Tina Terri zur Chemotherapie und wurde zu ihrer Vertrauten. Doch als sich der Krebs verschlimmerte und selbst die Optimisten merkten, dass dieser Kampf nicht zu gewinnen war, änderte Terri ihr Verhalten. Sie zog sich zurück und beendete Telefongespräche mitten im Satz. Sie wollte nicht, dass Tina bis zum bitteren Ende mitlitt.
Milo parkte unter den Föhren am Brady Drive, unweit vom Ufer, doch fast einen Kilometer von Graingers Haus entfernt. Er hängte sich den Rucksack um und stiefelte los. Pickups und Fordmodelle brausten vorbei, und manchmal winkte ihm ein Fahrer hupend zu. Milo winkte lächelnd zurück. Als er nah genug war, verließ er die Straße und arbeitete sich durch das Laubwerk zum See hinunter.
Grainger hatte das Haus nach dem Ableben der Vorbesitzer günstig erworben. Es stammte aus den dreißiger Jahren und war in einem von Teddy Roosevelt inspirierten Blockhüttenstil erbaut. Laut
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