Word-OleSte-DerTou
stand auf, um den gekühlten Wodka zu holen. Er hätte schon längst Einner anrufen sollen, aber er rechnete damit, dass der Tourist ohnehin mithörte. Er schenkte den Wodka in die leeren Weingläser, und Angela protestierte nicht. »Hat die Spurensuche noch irgendwas ergeben?«
»Neun Millimeter, Walther PPK. Die sind gleichmäßig über die ganze Welt verstreut.«
»Anscheinend haben ihn seine Freunde bei dem Treffen mit dir beobachtet.«
»Das meint Ali auch.« »Hast du mit ihm geredet?«
»Er hat mich angerufen. Nach der Entdeckung der Leiche. So hab ich es erfahren.«
In der nächsten Stunde zerbrachen sie sich, unterstützt vom Wodka, den Kopf über mögliche Folgerungen aus diesen Erkenntnissen. Dabei lag die Betonung auf »möglich«.
Irgendjemand, den sie vorerst X nennen wollten, hatte den Tiger engagiert, um den radikalen Mullah im Sudan zu ermorden. Als der Tiger Nachforschungen zur Identität seines Auftraggebers anstellte, ließ ihn X aus dem Weg räumen.
»Wer Rahman umgebracht hat, ist völlig unklar.« Sie fixierte Milo aus zusammengekniffenen Augen. »Seine terroristischen Freunde sehen ihn mit mir und halten ihn für einen Verräter. Oder X hat gemeint, Rahman hat mit mir über seine Identität gesprochen, und ließ Rahman aus dem gleichen Grund beseitigen wie den Tiger.«
Milo wollte schon antworten, schwieg aber im letzten Moment, um nicht zu verraten, was er wusste. Herbert Williams, der Mittelsmann von X, war mit Angela beobachtet worden. Was, wenn er nun gar keine Kontaktperson war, sondern ihr Beschatter? Williams war in dem Bistro gewesen, als sich Rahman mit Angela traf.
Wenn man einmal den chinesischen Diplomaten und seine gestohlenen Geheimnisse außer Acht ließ, ergab sich ein völlig neues Bild. Auf einmal war Angela kein Sicherheitsrisiko mehr, sondern ein Opfer.
Dennoch blieb die Frage, die der sterbende Tiger aufgeworfen hatte: Wer war X? Wer hatte dem Tiger den Auftrag erteilt, sowohl den Mullah Salih Ahmad als auch den französischen Außenminister Michel Bouchard zu liquidieren? Hatte irgendeine terroristische Gruppierung ein Interesse daran, dass beide starben? Ahmads Ableben nützte zwar letztlich den militanten Islamisten im Sudan, doch vom Tod des Außenministers hatten sie nichts.
Und wie sollte man alle Mordanschläge auf einen gemeinsamen Nenner bringen, die der Tiger seit 2001 im Auftrag von Herbert Williams begangen hatte?
»Die Chinesen«, meinte sie. »Die Brandmarkung von Salih Ahmads Leiche sieht für mich ziemlich nach einer direkten Warnung an die Extremisten aus: Wenn ihr unseren Freund nicht in Ruhe lasst, passiert euch dasselbe wie dem Mullah. Aber es ist irgendwie schon ziemlich plump, oder?«
Milo nickte. »Die Chinesen mögen vieles sein, aber kurzsichtig sind sie nicht. Das Zentralkomitee will keinen Kampf gegen die sudanesischen Massen. Die Chinesen sind nicht scharf darauf, Truppen nach Afrika zu schicken - schon gar nicht, wo sie jetzt, ein Jahr vor der Ausrichtung der Olympischen Spiele, so genau von der internationalen Gemeinschaft beobachtet werden. Die Brandmarkung sollte antichinesische und antiimperialistische Gefühle schüren.« Er holte tief Luft. »Ich bin derselben Meinung wie der Tiger: Er hat für die Dschihadisten gearbeitet.«
»Sicher können wir nur sein, wenn wir Herbert Williams finden«, schloss sie.
Obwohl es frustrierend war, nichts Greifbares in Händen zu haben, machte ihm das Ganze Spaß. Zusammen mit Angela hier zu sitzen und anhand der Anhaltspunkte und Variablen verschiedene Möglichkeiten durchzuspielen, erinnerte ihn an ihre Freundschaft vor über zehn Jahren, als sie beide noch jung und ungebunden waren und der Arbeit für ihr Land voller Begeisterung entgegenblickten.
Dann änderte sich die Stimmung. Sie rieb sich die Arme, als wäre ihr kalt geworden von den morbiden Spekulationen, die sie anstellten. Kurz nach eins sagte sie: »Ich ruf dir ein Taxi. Du willst doch nicht Disney World verpassen.«
Nach dem Anruf verschwand sie auf die Toilette. Als sie wieder herauskam, schluckte sie eine Tablette aus einem Fläschchen.
»Was ist das?« »Zum Schlafen.«
Er zog die Braue hoch. »Brauchst du das wirklich?« »Du bist nicht mein Psychiater, Milo.«
»Weißt du noch, wie ich dir damals Amphetamine andrehen wollte?«
Sie brauchte ein bisschen, bis es ihr wieder einfiel. Ihr Lachen klang natürlich. »Mann, du warst vielleicht kaputt damals.«
Auf dem Weg nach draußen drückte er ihr einen Kuss auf die
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