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konnte, doch er genügte, um den Keim für seinen Abscheu gegen Roman Ugrimow zu legen. Der Russe war vollkommen überzeugt von seiner Unangreifbarkeit. Es spielte keine Rolle, wie viele Verbrechen er beging. Er musste nur gegebenenfalls ein paar Schecks ausstellen. Die italienische Polizei befragte ihn nur einmal zum Tod des Mädchens, und in ihrem Bericht stand kurz darauf die Geschichte, für die sie sich, vielleicht mit ein wenig finanzieller Unterstützung, entschieden hatte: Das arme Mädchen hatte Selbstmord verübt.
»Hier ist was«, bemerkte Einner. Milo fuhr blinzelnd hoch. »Was?« »Ugritech. Da.«
Es war die Fotokopie eines Artikels aus Le Temps vom
November 2006. Darin wurde vom Europabesuch des sudanesischen Ministers für Energie und Bergbau Awad al Jaz berichtet. Seine Reise führte ihn durch mehrere Länder, in denen er nach Investoren für eine neue Elektrizitätsinfrastruktur suchte, um die alte, durch den Bürgerkrieg zerstörte zu ersetzen. In der zweiten Spalte hatte Angela mit blauem Kugelschreiber eine Passage angestrichen, in der von einem Treffen zwischen dem Ugritech-Direktor Roman Ugrimow und dem Energieminister in Ugrimows Haus in Genf die Rede war. Bei diesem Treffen waren auch »mehrere amerikanische Investoren« zugegen. Eine Adresse wurde nicht genannt.
Das war also die Verbindung, die Angela entdeckt hatte.
Sie war wirklich phänomenal.
Aufgrund dieser Erkenntnisse lag natürlich der Verdacht nahe, dass das Geld zur Bezahlung des Tigers von Ugritech gekommen war. Auch das Glück hatte Angela bei ihren Nachforschungen beigestanden. Wäre dieser schreckliche Tag im Jahr 2001 nicht gewesen, hätte sie der Firma Ugritech sicher keine Beachtung geschenkt.
Aber warum hatte sie ihm davon nichts erzählt? War es möglich, dass sie ihm nicht getraut hatte?
»Und wo führt uns das als Nächstes hin?«, fragte Einner. »Mich«, korrigierte Milo. »Ich hab deine Zeit schon viel zu sehr in Anspruch genommen.«
»Du hast mich neugierig gemacht. Wir haben Attentate im Sudan, Technologiefirmen, die dafür bezahlen, und verschwundene chinesische Notebooks. Was Besseres kann sich ein Tourist doch gar nicht wünschen.«
Milo zügelte seinen Argumentationsdrang, damit Einner keinen Verdacht schöpfte. Aber der junge Tourist wollte sich einfach nicht überzeugen lassen. Er hatte »einen Job« angefangen, wie er das nannte, und den wollte er jetzt auch zu Ende führen.
»Also, wohin?«
Erneut fragte sich Milo, ob das nicht alles ein Riesenfehler war. Nicht nur, dass er Einner in die Sache hineingezogen hatte, sondern diese ganze Jagd. Wenn er sich in Disney World hätte festnehmen lassen, wäre das Ganze vielleicht schon längst gegessen. Graingers Anruf hatte ihm keine Zeit zum Nachdenken gelassen. Wäre er nicht so überstürzt abgehauen, würde er jetzt vielleicht gerade im Wohnzimmer bei einer Schüssel Ramen-Nudeln sitzen und sich Stephanies neueste Weltdeutung anhören.
Aber ein Tourist lernt schnell, dass solche Überlegungen Luxus sind, den sich nur andere Leute leisten können. Für Reue ist in diesem Geschäft kein Platz, sie würde einen Touristen nur behindern.
Milo ging zur Tagesordnung über. »Nach Genf. Ist das Auto vollgetankt?«
Einner wiegte den Kopf. »Moment. Ich glaube, wir sollten das Transportmittel wechseln.«
34
Manchmal hatte Tina das Gefühl, das Leben nicht genügend zu genießen. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie sie ausgerechnet in Venedig unter der Hitze, dem Schmutz, den Touristenhorden und - ja - dem schweren Baby unter ihrem Herzen gelitten hatte. Als gäbe es nichts Übleres, womit die Welt sie schikanieren konnte. Dann hatte sie Frank Dawdle kennengelernt und erfahren, dass es noch viel schlimmer kommen konnte.
Die ersten Tage in Venedig hatte sie praktisch überhaupt nicht wahrgenommen. Sie hatte ein Talent dafür, das vor ihr Liegende zu übersehen, und sie fragte sich, ob es ihr jetzt an diesem Samstagnachmittag in Austin n icht wieder einmal genauso ergin g.
Es bestanden einige Parallelen. Ihre bessere Hälfte hatte sich in Rauch aufgelöst, und sie hockte schwitzend auf der hinteren Veranda ihrer Eltern. Die Hitze in Austin ist ähnlich feucht wie die in Venedig und schwächt den ganzen Körper, wenn man den Schutz klimatisierter Häuser verlässt. Wie damals in Venedig war sie mit ihrer Tochter allein.
»Limonade?« Ihre Mutter steckte den Kopf durch die Schiebetür und erinnerte sie daran, dass das nicht ganz zutraf. Streng genommen, war
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