Word-OleSte-DerTou
ich es noch eine halbe Stunde aushalten. Würde es Ihnen was ausmachen?«
Der junge Mann erhob sich leicht, um den Blick über Milos Körper gleiten zu lassen. Vielleicht wollte er sichergehen, dass sein Gegenüber keine Waffe hatte.
Milo zeigte ihm die leeren Hände und öffnete den Rucksack für ihn. »Da sind nur Klamotten drin. Wirklich, ich muss dringend aufs Klo.«
Zögernd schloss der Mann auf. Milo deutete hektisch. »Da lang? « »Ja.«
»Super.«
Er sperrte die Badtür von innen ab und schaltete den lärmenden Ventilator ein. Dann lauschte er, bis der Mann zu seinem Formel-I-Rennen zurückgekehrt war.
Das kleine Fenster befand sich auf Kopfhöhe über der Badewanne. Der tiefe Rahmen war schmierig von Wasserdampf und Staub, doch wenigstens ließ es sich leicht entriegeln. Er holte das Klebeband aus dem Rucksack und stopfte Jacke, Krawatte und Hemd hinein. Dann stellte er ihn neben der Toilette ab. Im Unterhemd und mit dem Klebeband zwischen den Zähnen kletterte er auf den Badewannenrand und hievte sich hinauf, bis er den Kopf durchs Fenster stecken konnte. Siebzig Zentimeter rechts von ihm und ein Stück weiter unten befand sich das Geländer von Marie Duponts Balkon. Links, in eineinhalb Metern Abstand davon ragte der Balkon dieser Wohnung aus der Mauer. Tief unter ihm lag der harte Betonboden des Hofs.
Es war ein schmales Fenster, aber wenn er sich seitwärts drehte, passten seine Schultern durch. Er hatte Mühe, den Oberkörper zu stabilisieren, und seine Beine schwangen wild hin und her, bis sie auf der Duschvorhangstange Halt fanden.
Ächzend und schwitzend hatte er sich schließlich bis zur Hüfte hinausgeschoben, ohne das Klebeband zwischen den Zähnen loszulassen. In diesem Moment hätte es für einen Beobachter von draußen so ausgesehen, als wäre ein menschlicher Rumpf aus der Wohnung gewachsen, ein Arm gegen die Außenwand gestemmt. Sein Schwerpunkt lag jetzt draußen, und wenn er die Mauer losließ, würde er in den Tod stürzen. Mit der freien Hand schleuderte er das Klebeband auf Marie Duponts Balkon. Es rollte, bis es ans Geländer stieß.
Es war schon lange her, dass Milo solche Nummern abgezogen hatte, und plötzlich überkam ihn die Gewissheit, dass er es nicht mehr drauf hatte. Tina hatte ihn mehrmals freundlich darauf hingewiesen, dass er Fett angesetzt hatte. Und Einner erinnerte ihn nur zu gern daran, wie alt er geworden war. Warum hing er hier zwei Stockwerke hoch mit dem Kopf voran aus dem Fenster eines Pariser Wohnhauses?
Schluss jetzt.
Er schob sich weiter hinaus, bis seine Hüften den Rahmen passiert hatten. Jetzt konnte er sich mit den Knien in die Laibung einspreizen und nach vorn beugen. Er streckte die Hände aus und hing einen Moment lang ungestützt an der Wand, dann hatte er das Geländer gepackt. Er klammerte sich stärker fest als nötig, aus Angst, in die Tiefe zu stürzen, wenn er die schmerzenden Beine aus dem Fenster zog. Als seine Beine schließlich herausglitten und nach unten sackten, stieß er mit dem angespannten Bauch gegen den Betonrand des Balkonbodens, und ihm wurde schlecht. Doch seine Hände ließen nicht los, und das Geländer gab nicht nach. Er atmete durch leicht aufeinandergedrückte Lippen, bis er genügend Kraft gesammelt hatte, dann zog er sich langsam nach oben.
Seine brennenden Arme hätten es fast nicht geschafft, aber dann warf er ein Bein über die Balkonecke, und das half. Seine Extremitäten arbeiteten nun konzentriert auf ein einziges Ziel hin, und kurz darauf kauerte er am äußeren Rand des Balkons. Voller Schmerz und fast schockiert registrierte er, dass er noch lebte. Er kletterte über das Geländer und starrte auf seine roten, tauben, zitternden Hände.
Aber dafür war jetzt keine Zeit. Er schnappte sich das Klebeband und riss zehn halb meterlange Streifen ab, mit denen er die Glastür bepflasterte, bis er ein Rechteck hatte. Dann rammte er den Ellbogen genau in die Mitte. Das Glas zersprang, aber leise, und die Scherben blieben am Band haften. Als er es weggezogen hatte, blieb ein schartiges Loch zurück. Er steckte den Arm durch und entriegelte die Tür von innen.
Ohne auch nur einen Blick auf die Wohnung zu werfen, marschierte er zur Eingangstür und sperrte sie mit einem Schlüssel auf, der an einem Wandhaken hing. Sofort ging er hinüber zu Nummer sechs und läutete. Der Fernseher wurde leiser, dann öffnete sich das kleine Fenster. Der junge Mann starrte ihn an.
»Entschuldigung«, sagte Milo. »Ich hab meinen
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