Working Mum
Gerichtssaal trug auch nichts zum Gelingen bei. Die Luft war verbraucht, die Wände eichengetäfelt und von schwarz gekleideten Trauergestalten mit Perücken gesäumt. Es war, als sollte man in einem riesigen Sarg aussagen, während die Bestattungsunternehmen abwartend zusahen, dass man sich sein eigenes Grab schaufelte. Und sie verachtete den Richter. Der war mindestens fünfundsechzig und recht schwerhörig.
«Katharine Reddy», dröhnt er, «Sie stehen heute Nacht vor dem Mutterschaftsgericht unter der Anklage, ein krankes Kind in London gelassen zu haben, während Sie geschäftlich in die Vereinigten Staaten von Amerika geflogen sind. Wie bekennen Sie sich?»
O Gott, nicht das. «Ich habe Emily mit Fieber in London zurückgelassen, das ist wahr, Euer Ehren. Aber wenn ich so kurzfristig von einem Final abgesprungen wäre, hätte mich Edwin Morgan Forster nie wieder eine große Aufgabe übernehmen lassen.»
«Welche Mutter lässt ihre Tochter allein, wenn sie krank ist?»
«Ich, aber …»
«Sprechen Sie lauter!»
«Ich, Euer Ehren. Ich habe Emily allein gelassen, aber ich wusste, dass sie gut versorgt werden würde, sie hat Antibiotika eingenommen, und ich habe an jedem Tag, während ich weg war, mit ihr gesprochen, und ich habe vor, ein Fest im Schwimmbad für sie zu organisieren, und ich glaube wirklich, dass Frauen ihren Töchtern Vorbilder sein sollten und … ich liebe sie so sehr.»
«Mrs. Shattock», der Staatsanwalt ist aufgestanden und zeigt mit dem Finger auf sie, «dieses Gericht hat gehört, wie sie Ihrer Kollegin, einer Miss Candace Stratton, gestanden haben, dass sie, in ihren eigenen Worten: ‹eine Woge orgasmischer Erleichterung› empfunden haben, als sie ihre Familie nach den Halbjahresferien verließen und ins Büro zurückkehrten. Was haben Sie dazu zu sagen.»
Die Frau lacht. Ein tiefes, bitteres Lachen. «Das ist unglaublich unfair. Natürlich ist es schön, an einem Ort zu sein, wo man nicht andauernd von jemandem verfolgt wird, der ‹Mama, A-a!› schreit. Das leugne ich nicht. Wenigstens können die Leute im Büro erkennen, dass man zu tun hat, und sie bitten einen nicht um Toast und Lollis oder darum, die Unterhosen hochgezogen zu kriegen. Wenn es falsch ist, das als Erleichterung zu empfinden, dann tut es mir Leid: schuldig im Sinne der Anklage.»
«Sagten Sie schuldig?» Der Richter wird munter.
«Zu meiner Verteidigung», fährt sie fort, «möchte ich darum bitten zu berücksichtigen, dass ich in St. David drei Sandburgen gebaut habe, und ich habe mir von Emily Krebsteile in die Haare flechten lassen, die sie für Meerjungfrauenjuwelen hielt. Und ich habe alle Lieder gesungen und sämtliche Sandwiches gemacht. Jeden Tag zwei verschiedene Sorten, obwohl sie nie etwas anderes als Chips essen …»
«Mrs. Shattock, könnten Sie sich wohl bitte auf die Anklage beschränken?», röhrt der Richter. «Schuldig oder nicht schuldig? Strandaktivitäten sind für das Mutterschaftsgericht nicht von Belang.»
Die Frau legt ihren Kopf zur Seite, und man kann etwas Mutwilliges, beinahe Aufrührerisches in ihre Augen treten sehen. «Gibt es auch ein Vaterschaftsgericht, Euer Ehren? Dumme Frage, wirklich. Stellen Sie sich nur mal vor, wie lange es dauern würde, die anhängigen Fälle zu verhandeln. All diese Kerle, die auf dem Heimweg nur mal eben in den Pub gegangen sind und nicht mehr rechtzeitig zur Gutenachtgeschichte nach Haus gekommen sind, und das seit, was sollen wir sagen, zweitausend Jahren?»
«Ruhe! Ruhe!, sage ich. Wenn sie auf diese Weise weitermachen, Mrs. Shattock, werde ich Sie in die Zelle bringen lassen.»
«Klingt wunderbar. Ich könnte endlich schlafen.»
Der Richter klopft auf den Tisch. Er wird mit jeder Minute größer, und sein altes weißes Gesicht läuft knallrot an. Die Angeklagte wird indessen kleiner und kleiner. Gerade so groß wie eine Barbie-Puppe, klettert sie auf die Kante der Anklagebank, wo sie unsicher auf hohen Absätzen balanciert. Als sie anfängt, den Richter anzuschreien, ist ihre Stimme ein Mausepiepsen:
«Okay, okay, wollen Sie wirklich die Wahrheit wissen? Schuldig. Unglaublich, neurotisch, pathologisch schuldig. Hören Sie mal, es tut mir Leid, aber ich muss jetzt gehen. Mann, sehen Sie doch bloß mal, wie spät es ist!»
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Liebe, Lügen, Bluten
Kann man Betrug riechen? Ich bin überzeugt davon, dass Richard es kann. Er ist mir nicht von der Seite gewichen, seit ich aus New Jersey zurück bin, hat sich auf den
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