World of Warcraft: Jaina Prachtmeer - Gezeiten des Krieges
Zuversichtlich lächelte Thoder zu ihr herab, einen gütigen Ausdruck auf seinem harten Gesicht. „Du schlägst dich gut“, sagte er. „Da hat sich Lady Jaina einen hervorragenden Lehrling ausgesucht.“
„Es würde mir besser gehen, wenn ich nicht das Gefühl hätte, dass ich jeden Augenblick umkippen könnte“, murmelte das Gnomenmädchen.
„Dann ruh dich ein wenig aus“, schlug Thoder vor. „Iss etwas. In ein paar Minuten wirst du wieder kräftiger sein. Solange kann ich das Tor auch allein halten.“
Kinndy nickte dankbar und stolperte davon. An die Steinwand gelehnt verschlang sie ein Stück Brot und nahm mehrere gierige Schlucke Wasser. Dabei fragte sie sich, ob sie je auch nur ansatzweise so gut sein würde wie Thoder oder Lady Jaina. Das Gnomenmädchen hatte voller Ehrfurcht beobachtet, wie Jaina Welle um Welle der heranstürmenden Hordekrieger zurückgeschlagen hatte, und vor allem: Es schien ihr keinerlei Mühe bereitet zu haben. Während sie aß, wanderten Kinndys Gedanken zu den Geräuschen der Schlacht hinüber, die nur wenige Meter entfernt, auf der anderen Seite der Mauer tobte – und sie spürte, wie sie davor zurückschreckte. Sich ganz darauf konzentrieren zu können, das Tor zu befestigen, hatte sie mehr vom Grauen des Kampfes abgelenkt, als ihr überhaupt klar geworden war. Von dieser Erkenntnis beunruhigt, richtete sie sich auf, und nachdem sie sich die Krümel vom Mund gewischt hatte, eilte sie zu Thoder zurück, um ihm bei seiner Aufgabe zu helfen.
Sie hatte ihn noch nicht ganz erreicht, da sah sie, wie sich die Holzbalken des Tores verbogen, und alles Blut wich aus ihrem Gesicht. Die Schlacht draußen verlief nicht zu ihren Gunsten.
Kinndy, falls dieses Tor fällt, werden Dutzende – sogar Hunderte – Soldaten der Horde in die Stadt eindringen. Wir müssen es also so gut sichern wie nur irgend möglich. Das ist vermutlich die wichtigste Aufgabe während dieser ganzen Schlacht. Du könntest unser aller Leben retten.
Sie beschleunigte ihre Schritte während der letzten paar Meter noch weiter, und dabei streckte sie die Arme schon aus und murmelte einen Zauber. Dass das Zittern des Holzes daraufhin abebbte, erfüllte sie ebenso mit Stolz wie mit Überraschung.
„Die Horde ist durch das Tor gebrochen! Die Horde ist durch das Tor gebrochen!“
In einem kurzen Moment der Verwirrung dachte Kinndy: Nein, die Tore halten doch! Aber dann begriff sie. Die Magier am Nordtor hatten offensichtlich nicht so viel Erfolg gehabt wie sie hier.
In seiner ganzen Geschichte war Theramore selten Zeuge solcher Gewalt geworden. Die Horde strömte durch das Tor wie eine Woge durch eine Lücke im Deich.
Dass die Angreifer früher oder später in die Stadt eindringen würden, sei es nun, indem sie einen Eingang stürmten oder über die Mauer kletterten, war von vornherein erwartet worden, und so hatten die Verteidiger entsprechende Vorbereitungen getroffen. Womit allerdings niemand gerechnet hatte, war, dass es in den Reihen der Kirin Tor einen Verräter geben könnte. Die Schlacht verlagerte sich viel zu früh ins Innere von Theramore, und die Soldaten der Allianz, die in einem solchen Fall die Eindringlinge im Nahkampf binden sollten, erholten sich noch von ihren früheren Verletzungen.
Ein altes Sprichwort besagte, das Generäle Kriege aus dem Hintergrund planten, während andere darin kämpften und starben. Von diesen Generälen konnte man das jedoch sicher nicht behaupten. Ohne auch nur einen Moment zu zögern, stürmten Jonathan, Rotmähne, Machthieb, Shandris und Tiras’alan in die Bresche, in voller Rüstung und bewaffnet, damit sich die Kämpfer der Horde nicht nur unerfahrenen Soldaten gegenübersahen, sondern auch einigen der besten Krieger, die die Allianz je hervorgebracht hatte.
Kalecgos flog über Theramore dahin, um zu beobachten, wie sich die Schlacht entwickelte und wo man ihn am meisten brauchte. Als er sah, wie die Horde in die Stadt drängte, ging er sofort zum Angriff über. Er hauchte ihnen eine Wolke aus Frost entgegen, um ihre Bewegungen zu verlangsamen. Dann stieg er wieder in die Höhe, wendete und setzte zu einem zweiten Sturzflug an.
Als er diesmal in die Stadt hinabeilte, griff er mit seiner vorderen Klaue nach Jaina und trug sie darauf mit sich in die Lüfte empor – nicht, um sie aus dem Schlachtgeschehen fortzureißen, sondern damit sie die ganze Lage aus dem Blickwinkel eines Drachen betrachten konnte.
„Wo braucht Ihr mich am dringendsten?“, fragte er.
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