World of Warcraft: Jaina Prachtmeer - Gezeiten des Krieges
sein Geist scharf und sein Verhalten zuvorkommend und gütig. Außerdem war er äußerst verständnisvoll gewesen. Er schien genau zu wissen, wann er eine Pause in ihrer Arbeit vorschlagen sollte und wann er weiter auf der Suche nach einem Durchbruch beharren musste, ebenso wie er stets wusste, wo sie zu suchen hatten und welche frischen Ansätze er einbringen konnte, um den anderen einen neuen Blickwinkel zu zeigen. Er hatte es geschafft, sie alle vier zu motivieren, obwohl die Chancen auf den Erfolg so verschwindend gering gewesen waren.
Davon abgesehen musste sie zugeben, dass er in seiner Halbelfengestalt gar nicht mal so schlecht ausgesehen hatte. Mit leiser Überraschung erkannte sie, wie lange es schon her war, dass sie sich solche einfachen Freuden wie männliche Gesellschaft und entspannte Unterhaltungen gegönnt hatte. Noch länger war es aber her, seit sie sich zum letzten Mal wirklich … nun … sicher genug gefühlt hatte, um sich jemandem zu öffnen und so uneingeschränkt mit ihm zusammenzuarbeiten. Bittere Erfahrungen hatten Jaina gelehrt, dass man nur dann ein guter Diplomat sein konnte, wenn man stets wachsam blieb und sich nicht in die Karten schauen ließ. Wer sich nicht daran hielt, der gab sich eine Blöße und machte sich verwundbar. Und auch wenn die Gesten des Vertrauens selbstverständlich zur Arbeit eines Diplomaten gehörten und er aufrichtig und ehrlich auf das hinarbeiten musste, was das Beste für die Allgemeinheit war – er durfte doch niemals verwundbar werden, denn das hieß dann, alles zu verlieren. Jaina hatte auch einmal geglaubt, alles verloren zu haben, damals, als Arthas der Dunkelheit anheimgefallen war. Und selbst wenn es ein Irrtum gewesen war, wie sie später erkannt hatte, so hatte sie doch nie wieder jemanden so nahe an sich herangelassen – nicht als Diplomatin und auch nicht als Frau.
Nun wurde ihr klar, dass sie sich bei Kalecgos verwundbar gemacht hatte. Ohne es überhaupt zu merken, kitzelte er dieses Gefühl der Vertrautheit aus ihr heraus. Wie bizarr , dachte sie, und die Komik der Situation verzog ihre Lippen zu einem Schmunzeln. Ich fühle mich ausgerechnet bei einem Drachen sicher . Andererseits hatte sie sich doch auch bei Go’el sicher gefühlt, und der war ein Orc, beim Licht! Mehr noch, er war der Kriegshäuptling der Horde gewesen. Doch bei ihm hatte sie es nie gewagt, ihre Deckung ganz sinken zu lassen.
Auch wenn sie alle hofften, dass Kalec die Fokussierende Iris finden würde, nun, da er sie wieder richtig erkennen konnte, es gab doch noch immer mehr als genug für sie zu tun; schließlich konnten sie nicht ausschließen, dass die Fährte wieder kalt wurde. Tervosh widmete sich gerade dem Studium von Zaubersprüchen, mit denen man jemanden über große Distanzen hinweg bewegungsunfähig machen konnte, und Kinndy war wieder nach Dalaran zurückgekehrt, um eine Truhe mit Schriftrollen zu durchforsten, die sie in der hintersten Ecke der Bibliothek entdeckt hatte. „Ihr würdet mich beneiden“, hatte das Gnomenmädchen gesagt, als Jaina sich das letzte Mal durch den Spiegel mit ihr unterhalten hatte. „Da ist überall Staub.“
Doch sie konnten sich nicht allein auf ihre Hoffnungen verlassen, und auch wenn es brutal war, sie mussten praktisch denken. Darum hatten Jaina, Tervosh und die Leidende begonnen, sich Mittel und Wege zu überlegen, sowohl magische als auch weltliche, um die großen Allianzstädte schnellstmöglich zu evakuieren, sollten die Diebe beschließen, die Fokussierende Iris für einen Angriff zu benutzen. Jaina hatte sich gerade laut gefragt, ob sie vielleicht auch der Horde über die Gefahr berichten sollten, aber die Leidende warf ihr daraufhin einen schneidenden Blick zu. „Mylady“, erklärte sie, „wir können nicht ausschließen, dass Mitglieder der Horde für diesen Diebstahl verantwortlich sind.“
„Ebenso wenig können wir aber ausschließen, dass Mitglieder der Allianz hinter der Sache stecken“, entgegnete Jaina. „Beide Seiten können mit Magie umgehen, Leidende. Kel’Thuzad zum Beispiel war früher ein Mitglied der Kirin Tor. Vielleicht gehören die Täter aber auch zu einer völlig anderen Spezies. Kalimdor ist schließlich ein großer Kontinent.“
„Dann sollten wir uns auch ein paar Szenarien überlegen, um die Horde zu schützen“, schlug Tervosh vor, der sich schon vor langer Zeit daran gewöhnt hatte, einen Kompromiss zwischen den Ansichten dieser beiden Frauen zu finden. „Es kann ja nicht
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