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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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überlegte sich schon eine passende Entschuldigung für Jessica und wie er wohl in den verbleibenden fünf Minuten noch rasch irgendein Kostüm auftreiben könnte.
    Mardi richtete sich auf und wischte die Hände an der Öljacke ab. »Hey«, sagte sie heiser, fast flüsternd. »Das hat Spaß gemacht. Wollen wir das mal wieder machen, irgendwann?«
    Er wollte gerade sagen: ja, nein, vielleicht, als plötzlich das Bild des Geisterschiffs vor ihm aufstieg und er das Gefühl hatte, sein Bein – das gesunde – würde gleich einknicken und ihn auf die kalten, harten Planken des Piers werfen. Er wurde verrückt, das mußte es sein. Hatte Erscheinungen. Halluzinierte wie einer der Quatschköpfe in Matteawan.
    »Na?« sagte sie, umfaßte seinen Arm und schmiegte sich an ihn. »Du hast es doch schön gefunden, oder?«
    In diesem Moment bemerkte er die Gestalt im Schatten am Ende des Piers. Er dachte an einen Raubüberfall, an einen Halloween-Schabernack, er dachte an Jessica und an seinen Vater. »Hallo?« rief er. »Ist da jemand?«
    Das Licht war schlecht, der Himmel stockdunkel, nur eine einzelne Laterne erhellte die tote Geometrie aus Masten und Kränen am Ende der Anlegestelle. Walter spürte, wie sich Mardi neben ihm anspannte. »Wer ist da?« fragte sie.
    Ein Mann schälte sich aus dem Schatten und kam auf sie zu, die Bretter des Piers stöhnten unter seinen Schritten. Er war groß, seine Schultern wirkten wie nachträglich angehämmert, er trug ein kariertes Flanellhemd, das trotz der Kälte bis zum Nabel offenstand, und sein ergrauendes Haar fiel in einem dicken geflochtenen Zopf den Rücken hinab. Walter schätzte ihn auf fünfundfünfzig oder sechzig. »Bist du das, Mardi?« fragte der Mann.
    Sie ließ Walters Arm los. »Meine Güte, Jeremy, du hast uns zu Tode erschreckt!«
    Er stand jetzt vor ihnen, grinste übers ganze Gesicht. Zwei Vorderzähne hatten goldene Ränder, und er trug eine Halskette aus Knochen, von der eine einzelne weiße Feder baumelte. »Buh!« machte er mit gebrochener, asthmatisch rasselnder Stimme. Dann stellte er die Standardfrage der bettelnden Kinder an Halloween: »Was ist dir lieber: gute Miene oder böses Spiel?«
    Mardi grinste jetzt ebenfalls, Walter aber blickte verdrießlich drein. Ganz egal, was sich hier ergab, er wollte nichts damit zu tun haben. Sehnsüchtig sah er zu seiner Maschine hinüber, dann wandte er sich wieder dem Fremden zu. »Ich mach lieber die gute Miene«, sagte Mardi.
    »Tja, sieht ja auch aus, als hättest du dein Spielchen schon gehabt«, sagte der Mann und lächelte Walter schief an.
    »Oh«, sagte sie und packte Walter von neuem am Arm, »ach so« – hier schlug sie sich flüchtig gegen die Stirn, als wäre ihr etwas eingefallen. »Das hier ist mein Freund –«
    Doch der Indianer – denn daß es ein Indianer war, wurde Walter jetzt schlagartig klar – schnitt ihr das Wort ab. »Ich kenne dich«, sagte er und sah Walter tief in die Augen.
    Walter hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Er spürte, wie sich ihm der Magen zusammenzog. »Ach ja?«
    Der Fremde zerrte am Kragen seines Arbeitshemdes und verzog das Gesicht, als würde er gewürgt. Dann spuckte er aus und starrte Walter an. »Sicher«, knurrte er. »Van Brunt, stimmt’s?«
    Walter war wie betäubt. »Aber, aber woher –?«
    »Ihr zwei Kröten könntet aus demselben Ei geschlüpft sein, du und dein Vater.«
    »Sie haben meinen Vater gekannt?«
    Der Indianer nickte, senkte den Kopf und spuckte nochmals aus. »Allerdings hab ich den gekannt«, erwiderte er. »Ja, ich hab ihn gekannt. Das war ein echter Scheißkerl.«

MOHONK ODER
EINE DOLCHSTOSSLEGENDE
    Geboren war er 1909 in der Shawangunk-Reservation in Jamestown, New York, als grünäugiger Sohn eines grünäugigen Vaters. Seine Mutter, eine ye-oh vom Stamm der Seneca, deren kriegerische Ahnen von niemand anderem als George Washington persönlich befriedet worden waren, hatte Augen so schwarz wie Oliven. Ohne diese schwarzen Augen und das dahinter versteckte streitlustige Temperament in Rechnung zu ziehen, folgte Mohonk père dem patrilinearen Brauch seines eigenen Stammes, der Kitchawanken, deren vermutlich letzter lebender Angehöriger er war, und gab seinem Sohn den Namen Jeremy Mohonk junior. Die Mutter war hell empört. Ihr Volk, die harten Krieger aus dem Norden, sah für die Herkunft den Mutterleib als ausschlaggebend an. Der Junge war, so beharrte sie, von Rechts wegen ein Seneca und mußte Tantaquidgeon heißen. Falls er innerhalb des Clans

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