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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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trotzdem an den verrückten kleinen Herrn des Dunderbergs denken. Was für eine Vorstellung. Nicht miese Navigation oder Trunkenheit oder Nebel waren also schuld an den vielen Schiffsunglücken in den Highlands seit den Zeiten von Peter Minnewit und Wouter dem Zweifler, sondern die bösen Kräfte des Übernatürlichen, verkörpert von einem grinsenden kleinen Homunkulus – in weiten Kniehosen und Schnallenschuhen, dem Herrn des Dunderbergs –, dessen Lebenszweck darin bestand, Segelboote auf die Klippen zu locken. Walter erinnerte sich daran, wie sein Großvater bei jeder Umschiffung von Kidd’s Point zwei Becher Kornschnaps eingegossen hatte: einen für den Bauch und einen für den Fluß. Wozu soll das gut sein? hatte Walter, zwölf Jahre alt und gewaschen mit allen Wassern der Welt, eines Tages gefragt. Für den Herrn vom Berg, hatte sein Großvater geantwortet und dabei mit der Zunge geschnalzt. Das bringt Glück. Walter hatte nicht gewagt, den humorlosen Alten weiter zu befragen, im stillen aber den Klabautermann herausgefordert. Bring uns doch um, hatte er geflüstert. Komm schon: du traust dich nicht. Laß einen Blitz niederfahren. Kipp das Boot um. Traust dich ja doch nicht.
    Der Klabautermann war an jenem Tag ruhig geblieben. Die Sonne hing schwer am Himmel, die Netze waren voll, zum Abendessen gab es Coca und gebackene Krebse. Natürlich, als Walter beim nächstenmal mit seinem Großvater um Kidd’s Point und durch die enge Schlucht fuhr, dabei an Baseball dachte, oder an eine neue Angel oder an die Art, wie Susie Cats’ Sporthosen sich am Schnittpunkt ihrer Oberschenkel wölbten, da verfinsterte sich plötzlich der Himmel, der Wind pfiff von den Bergen herab, und der Motor stotterte, spotzte und starb dann ab. Was zum –? hatte sein Großvater geflucht, sich über den fetten Bauch nach vorn gebeugt und automatisch voll Zorn am Starterzug gerissen. Sie hatten gerade West Point umrundet und fuhren in Martyr’s Reach hinein, den meistgefürchteten der vierzehn Abschnitte, in die man den Hudson zwischen New York und Albany unterteilte, eine Wasserstrecke, die bei Generationen von Matrosen für ihre heimtückischen Winde, unberechenbaren Strömungen und abweisenden Ufer bekannt war. Gleich dahinter, siebzig Meter flußabwärts, lag World’s End, das Grab unzähliger Schaluppen, Dampfer und Kabinenkreuzer gleichermaßen, wo verrottende Rundhölzer in einer Strömung knarrten, die so unvorhersehbar war wie der Wind, und wo noch niemals eine Leiche hatte geborgen werden können, ein bodenloses Loch im Fluß, der sonst selten tiefer als dreißig Meter war. Hier war 1824 die Neptune gekentert, mit fünfunddreißig Passagieren an Bord, und hier war auch Benjamin Hunt, der Kapitän der James Coats, ins Jenseits gegangen, als ihn in einer scharfen Bö das Großsegel im Genick getroffen und enthauptet hatte. Bei stürmischem Wetter hörte man immer noch seinen erschrockenen Ausruf und dann, gleich danach, das gräßliche Aufklatschen des abgetrennten Kopfes. Jedenfalls erzählten sich das die Leute.
    Walters Großvater gefiel die Sache gar nicht. Er fluchte und hantierte am Motor herum, während die Ebbe sie flußabwärts riß und die ersten Regentropfen auf dem Wasserspiegel kleine Krater entstehen ließen. An die Ruder! brüllte er, und Walter gehorchte ohne zu zögern. Er hatte Angst. Noch nie hatte er am hellichten Tag eine solche Dunkelheit erlebt. Dreh um! Und dann volle Kraft, Richtung Heimat! fauchte sein Großvater. Los, rudern! Walter ruderte, ruderte, bis ihm die Arme lahm wurden und sein Rücken sich anfühlte, als hätte jemand glühende Splitter hineingetrieben, aber vergebens. Dicht vor West Point erwischte sie der Regen mit voller Wucht. Nicht nur der Regen, obendrein hagelte es noch. Und in der Schlucht zwischen den Bergen hallten die Donnerschläge wider wie eine Seeschlacht. Schließlich gingen sie unter einem Überhang am Westufer vor Anker, kauerten sich zitternd aneinander und wagten sich nicht wieder aufs offene Wasser hinaus, weil sie die Blitze fürchteten, die über ihren Köpfen den Himmel zerfetzten. Zwei Wochen später bekam Walters Großvater seinen Schlaganfall und fiel in den Trog mit Köderfisch.
    Jetzt, als er den Berg düster über ihnen aufragen sah, stand Walter auf und machte sich auf den Weg nach hinten, wo Mardi an der Ruderpinne saß.
    »Na, macht’s dir Spaß?« brüllte sie gegen den Wind an.
    Er grinste nur zur Antwort, wiegte sich mit dem Schiff, dann ließ er sich

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