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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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eine verdammte Seele.
    Es schneite zwei Tage und zwei Nächte lang. Am Morgen des dritten Tages fütterte Jeremias die Tiere, verriegelte das Haus und kämpfte sich, seinen Neffen auf den Rücken geschnallt, durch den Schnee zum Hof der van der Meulens. Staats holte die Cranes, Reinier Oothouse und die Leute vom oberen Gutshaus zu Hilfe, dann ritt er zu Jan Pieterse hinüber, um nachzusehen, ob sie dort aufgetaucht war, und falls nicht, um einen indianischen Fährtenleser anzuheuern.
    Am Nachmittag desselben Tages machte sich ein Trupp Kitchawanken auf den Weg, kam jedoch mit leeren Händen zurück: der Schnee hatte jede Spur verwischt. Wenn ihr Hemd einen Zweig geknickt oder ihr Fuß ein Steinchen verschoben hatte, so war das Indiz jetzt unter einer meterdicken Schneedecke verborgen. Jeremias war verzweifelt, gab aber nicht auf. Am nächsten Morgen ließ er Jeremy in Meintjes Obhut zurück, lieh sich Staats’ Kutschpferd und durchkämmte mit Douw jeden Hain und jedes Dickicht, suchte wieder und wieder die Täler und Flußläufe ab, klopfte an die Türen abgeschiedener Höfe. Sie suchten in südlicher Richtung bis hinüber zum Dorf der Kitchawanken am Indian Point, nach Norden bis zur Weckquaesgeek-Siedlung am Suycker Broodt. Nicht die geringste Spur von ihr.
    Es war Jan Pieterse, der sie schließlich fand, und zwar zufällig. Eines Morgens gegen Ende des Monats ging er hinter seine Handelsniederlassung, um wie jeden Tag einen Eimer Spülicht vom Blue Rock in den Fluß hinunterzukippen. An den jungen Van Brunt mit dem Holzbein und seine wirre Schwester, diese kahlgeschorene Verrückte mit dem Indianerbastard, dachte er am allerwenigsten, als ihm plötzlich etwas weiter vorn auf dem Pfad ins Auge fiel. Ein blauer Farbfleck. In einer Schneewehe am Fuß von Blue Rock, keine dreißig Meter von seinem Laden entfernt. Der blaue Fleck machte ihn neugierig, und er setzte den Eimer ab, um durch den verharschten Schnee zu stapfen und ihn näher zu begutachten. In den letzten Tagen war es wärmer geworden, daher gewöhnten sich seine Augen allmählich wieder an den Anblick von Farbe in einer Welt, die monatelang eintönig wie unbemalte Leinwand gewirkt hatte. Wie Schorf kam auf dem Trampelpfad die Erde durch, die grauen Wolken, die wie schmutzige Laken am Himmel gehangen hatten, waren dem prachtvollen Tiefblau eines Sommertages gewichen, die Weiden entlang der Van Wartville Road trugen Kätzchen, und winzige, noch fest verschlossene Knospen prangten an Holunder und Platane. Doch das hier, das war etwas anderes. Etwas vom Menschen Gemachtes. Etwas Blaues.
    Im nächsten Augenblick stand er über dem Fleck in leicht prekärer Stellung zwischen dem wegrutschenden Schnee auf der einen und dem großen, glatten Felsblock auf der anderen Seite. Er starrte auf ein Stück Stoff hinunter, das aus dem Schnee ragte wie ein Zipfel von etwas Größerem. Als Ladenbesitzer kannte er diesen Stoff. Es war blauer Kersey. Er verkaufte ihn ballenweise an Indianer und Farmersfrauen. Die Indianer nahmen ihn für Decken. Die Farmersfrauen machten gerne Schürzen daraus. Und Nachthemden.
    Jeremias begrub sie unter der Weißeiche. Pastor Van Schaik kam und sprach am Grab ein paar Worte; als Trauergäste waren die sechs van der Meulens, in Schwarz gehüllt wie ein Schwarm maes dieven , gekommen. Jeremias kniete am Grab nieder, seine Lippen bewegten sich wie im Gebet. Aber er betete nicht. Er verfluchte Gott im Himmel und die ganze Engelschar, verfluchte den heiligen Nikolaus und den patroon und die öde, feindselige Landschaft, die sich rings um ihn wie eine Gehenna von Bäumen, Tälern und dornigen Hügeln erhob. Wären sie nur in Schobbejacken geblieben, sagte er sich immer wieder, und nichts von alledem wäre passiert. Er kniete dort und bedauerte Katrinchee, seine Eltern und den kleinen Wouter, bedauerte sich selbst, doch als er schließlich aufstand und seinen Platz unter den Trauernden einnahm, lag ein harter, kalter Blick in seinen Augen, ein Blick der Unversöhnlichkeit, der Unbesiegbarkeit, wie er ihn schon mehrmals auf den schout gerichtet hatte: am Boden lag er, aber bezwungen war er nicht. O nein, bezwungen war er noch lange nicht.
    Was den dreijährigen Jeremy anging, der wußte nicht, was Niederlage – oder auch Triumph – war. Er hielt sich im Hintergrund, als zuerst sein Onkel und dann grootvader van der Meulen mit den übrigen am Grab niederknieten. Er weinte nicht, verstand auch den Verlust gar nicht. Was sah er schon anderes vor sich

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