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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Kaffeesatz so übel schmeckte. Sie hoffte, er würde ihr widersprechen, ihr sagen, sie solle den Job doch zum Teufel wünschen und ins Bett zurückkommen, aber er schnarchte schon wieder. Sie setzte den Kessel für eine zweite Tasse auf, tappte in Pantoffeln über das kalte Linoleum und durchwühlte den Schrank nach dem Pulverkaffee, als sie plötzlich krampfartig von Schuldgefühlen übermannt wurde. Sie mußte zur Arbeit gehen, gar keine Frage. Schließlich hatte sie an ihre Karriere zu denken – sie wußte genau, wie gut sich dieser Job in ihrem Lebenslauf machen würde, wenn sie sich im Herbst wieder für ein Graduiertenstipendium bewarb –, und außerdem, prosaischer betrachtet, brauchten sie einfach das Geld. Walter hatte seit seinem Unfall nicht gearbeitet. Er behauptete, er wäge noch die Alternativen ab, taste sich an die Entscheidung erst heran. Er versuche, mit seinem Trauma fertig zu werden. Lehrer wolle er werden, Verkäufer oder Versicherungsagent, bei einer Bank oder beim Gericht anfangen, er wolle wieder auf die Uni gehen, eine Motorrad-Werkstätte aufbauen, ein Restaurant eröffnen. Es könne nicht mehr lange dauern. Jessica drehte die Flamme unter dem Wasserkessel ab und ging ins Nebenzimmer, um ihren Vater anzurufen. Mit etwas Glück würde sie ihn noch erreichen, bevor er zum Bahnhof losfuhr ...
    Sie hatte Glück. Letzten Endes traf sie nur zwanzig Minuten zu spät ein und bekam noch genug Formalin in die Nase, den ganzen langen grauen Vormittag und während des trüben, endlosen, hyperboreischen Nachmittags.
    Tom hatte sie nach Hause gebracht. Im Dunkeln. Auf dem Soziussitz seiner klappernden, verrosteten Suzuki 50 ohne Auspuff, und zwar unter Wind-Kälte-Bedingungen, die jenen auf der Eisstation Zebra nahegekommen sein dürften. Dann war sie, indem sie sich wild abklopfte und hektisch die laufende Nase tupfte, in Windeseile die Stufen des süßen, kleinen Bungalows in der Kitchawank Colony (Miete: $ 90 pro Monat, plus Nebenkosten; sie und Walter hatten ihn unter hundert identischen süßen, kleinen Bungalows der Kitchawank Colony ausgesucht) hinaufgerannt, nur um festzustellen, daß Walter nicht da war. Tom stand hinter ihr, den Helm in der Hand, den gelben Schal um die untere Gesichtshälfte gehüllt wie die kaffiyeh eines Kameltreibers. »Er ist nicht zu Hause«, sagte sie und sah ihn an.
    Toms tränende Augen über dem Schal starrten geistesabwesend in Küche und Wohnzimmer herum. »Nein«, sagte er, »anscheinend nicht.«
    Ein langer Moment verstrich, ihre Enttäuschung war wie eine schwere Last, die sie auf einmal beide zu tragen hatten – sie wollte es nicht wahrhaben, eine kalte Nacht allein, aufgetaute Enchiladas und Quesadilla-Chips mit dem Geschmack und der Konsistenz von Vinyl als Abendessen –, bis Tom sich den Schal von den Lippen wegschob und fragte, ob sie nicht bei ihm draußen etwas essen wolle. Sie könnten ja einen Zettel für Walter dalassen.
    Und nun war sie hier, preßte die Knie gegen die Brust und sah zu, wie ihr Atem vor dem Gesicht kondensierte, während ein Potpourri widerstreitender Düfte ihre Nase umwehte. Da war der kalte, schweißige Gestank ungewaschener Socken und Unterhosen, der Mief von Schimmel und faulem Holz, die beißende Schärfe des Rauchs und das unbezwingbare, unübertreffliche, köstliche, süße, speicheltreibende Aroma von bratendem Knoblauch. Sie wollte gerade hinabhüpfen, um umzurühren, als der Heilige der Wälder zurückkam, mit flatternden Ellenbogen, triefend vor Nässe, und wie ein Schlagzeuger in voller Aktion herumtrampelte. Er atmete schwer, seine Nase hatte die Farbe von Lachs aus der Dose. »Wasser«, keuchte er, stellte den Eimer neben den Ofen und maß augenblicklich vierundzwanzig Tassen davon für den Reis ab. »Blood Creek«, setzte er grinsend hinzu. »Der läßt mich nie im Stich.«
    Später, nachdem sie jeder zwei randvolle Blechteller klebrigen Reis und Gemüse mit in Knoblauch geschwenktem Tofu und Sojawürfeln à la maison verschlungen hatten, teilten sie weitere fünf oder sechs Becher Wein und einen Grasjoint eigener Ernte, hörten sich auf Toms batteriebetriebenem No-Fidelity-Plattenspieler die Bobby Blue Band mit »Call on Me« an und diskutierten mit der Leidenschaft von Talmudschülern, die in die Mysterien der Kabbala eintauchen, über Herbert Axelrod, sprechende Schimpansen und Ufos. Irgendwann hörte Jessica lange genug zu bibbern auf, um vom Hochbett hinunterzuklettern und sich, knapp außerhalb des

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