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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Feuersturms von Dresden hätte sein können, kam er nicht aus dem Takt. »Hier unten?« wiederholte er, indem er mit einer Hand das Gemüse in die Tiefen des Kessels schüttete und die andere galant nach oben streckte, um ihr Wein nachzuschenken. »An guten Tagen – also, dann hat’s draußen nur so vier bis sechs Grad unter Null –, wenn ich da dem Ofen wirklich volles Rohr gebe, dann schaffe ich’s, daß am Fußboden so etwa plus zehn sind.« Er sah nachdenklich drein, während er sich einen zweiten Becher von dem sauren, öligen Wein eingoß, und schien kurzfristig völlig im Berechnen kalorischer Variablen zu versinken, während im Topf hinter ihm das Öl zischte und das Leck am Ofenrohransatz Rauch ins Zimmer spuckte. »Da oben, würde ich sagen, können es in einer guten Nacht sogar fünfzehn Grad plus werden.«
    Es drohte keine gute Nacht zu werden. Erst halb sieben, und schon war das Quecksilber in dem rostigen Thermometer vor dem Fenster auf minus achtzehn gefallen. Immerhin, man mußte es Tom lassen, bereits wenige Sekunden, nachdem er durch die Tür gekommen war, war er mit dem Ingrimm des halb erfrorenen, verzweifelten Greenhorns in der Jack-London-Geschichte ans Einheizen gegangen. Aber die Hütte, so erklärte er, während er auf dem Schneidbrett Gemüse hackte, brauchte eben eine Weile zum Warmwerden. Jessica dachte gerade, dies sei wohl eine Untertreibung erster Güte, als Tom einen verzinkten Eimer packte und zur Tür stürzte. »Warum rennst du denn jetzt wieder raus?« fragte sie ehrlich entsetzt.
    Die Antwort kam in Form eines verzerrten Zweisilbers, während er an den Knöpfen seines Fliegermantels fummelte und mit dem Eimer versehentlich klirrend gegen eine Kiste stieß, auf der sich vergilbte Wäsche häufte. »Wasser!« kreischte er, raste an ihr vorbei und knallte die Tür hinter sich zu.
    Zu Beginn dieses Tages – im fahlen Licht des Morgengrauens, um genau zu sein – hatte Jessica, die nun schon zwölf Wochen verheiratet war, sich bei ihrem Mann beklagt, der Wagen wolle nicht anspringen, und wenn der Wagen nicht anspränge, würde sie zu spät zur Arbeit kommen. Walter war ihr keine große Hilfe gewesen. Arbeitslos, unrasiert und verkatert, nach einer der üblichen langen Nächte im »Elbow«, lag er reglos in der Mitte des Bettes, wie eine Mumie in die Steppdecke gewickelt, die ihnen Großmutter Wing zur Hochzeit geschenkt hatte. Sie sah die Schlitze seiner Augen sich einen Spaltweit öffnen. Die Lider waren zentimeterdick geschwollen. »Ruf Tom an«, krächzte er.
    Tom hatte keinen Strom. Tom hatte kein fließendes Wasser. Er hatte keine elektrische Zahnbürste, keinen Fön und kein Waffeleisen. Ein Telefon hatte er erst recht nicht. Und selbst wenn er eins gehabt hätte, wäre es kaum von Nutzen gewesen, führte doch kein Telefonkabel durch die Wälder über den Van Wart Creek und den Hügel hinauf zu seiner Kate. Während Jessica in ihrem Maximantel mit Fischgrätmuster nervös auf und ab ging, sich kalten Kaffee in die Kehle schüttete und mit der Bürste hastig durch das seidige blonde Haar fuhr, versuchte sie, ihrem dahingestreckten Mann dies klarzumachen.
    Die reglose Decke schien das Leben darunter in stummem Bann zu halten. Kurz darauf hörte sie, wie sein Atem in den sanften, autonomen Rhythmus des Schlafes zurückfand. »Walter?« Sie stieß ihn an. »Walter?«
    Seine undeutlich gemurmelten Worte klangen wie von der anderen Seite einer unüberwindbaren Kluft herüber: »Melde dich doch krank«, knurrte er.
    Eine verführerische Idee. Draußen war es so kalt, daß es einem das Fleisch von den Knochen schälte, und bei dem Gedanken, acht Stunden lang bei Neonlicht Formalin einatmen zu müssen, sehnte sie sich zu den Seminararbeiten, Abschlußexamen und Laborprotokollen des letzten Jahres zurück. Seit einigen Wochen widerte der Job sie an: Larven zählend und Listen schreibend saß man immer nur herum und sah auf die Uhr – erst im März würden sie wieder aufs Wasser hinausfahren können. Sogar Tom, der eigentlich zur Handhabung des Schleppnetzes auf dem großen Firmenboot eingestellt worden war, beugte sich seit neustem über Glasschalen mit Algenteilen und den Larven von Insekten und Fischen und inhalierte stinkende Dämpfe. Nein: zur Arbeit hatte sie keine Lust. Schon gar nicht, wenn sich ihr auf dem Weg dorthin arktische Sturmböen und eine eingegangene Batterie entgegenstellten.
    »Du weißt genau, daß das nicht geht«, wandte sie ein und schüttelte sich, weil der

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