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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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als einen Haufen nackter Erde, nichts weiter als Ackerfurchen, wie sie Jeremias mit dem Pflug aufwarf? Maulwürfe lebten unter der Erde, Käfer, Engerlinge und Schnecken. Seine Mutter lebte nicht unter der Erde.
    Als sie danach bei Apfelwein und Fleischpastete zusammensaßen, die Meintje für den Leichenschmaus mitgebracht hatte, entzündete Staats seine Pfeife, stieß einen langen Seufzer aus und sagte mit unnatürlich hoher Stimme: »Das war ein schlimmes Jahr für dich, younker .«
    Jeremias hörte ihm kaum zu.
    »Du weißt, daß du jederzeit zu uns zurückkommen kannst.«
    Barent, der jetzt elf war und den kantigen Kopf und die weizenblonden Haare seiner Mutter geerbt hatte, lutschte schmatzend an einem Stück Wildfleisch. Die jüngeren Kinder – Jannetje, Klaes und der kleine Jeremy – saßen stumm wie Steine vor ihren Tellern. Meintje lächelte. »Ich hab einen Vertrag mit dem patroon «, sagte Jeremias.
    Staats verwarf den Einwand mit einer Handbewegung. »Ohne Frau kannst du nicht weitermachen«, schmetterte er. »Du hast doch den Jungen, kaum drei Jahre alt, und niemanden, der sich um ihn kümmert.«
    Natürlich wußte Jeremias, daß sein Adoptivvater recht hatte. Er konnte den Hof nicht weiterführen ohne jemanden, der die Arbeit mit ihm teilte – besonders wenn Jeremy dauernd herumwuselte. Jeremias mochte dickschädlig, eigensinnig, stur und zäh sein, aber ein Dummkopf war er nicht. Schon am Tag von Katrinchees Verschwinden, als die Stunden ohne Hoffnung verstrichen und er die Wälder durchkämmte, bis sein Bein versagte, war in ihm der erste Funke einer Idee geboren. In seinem Kopf war schon alles festgelegt. Ein Plan. Praktisch und romantisch zugleich: ein Plan für den Eventualfall. »Ich besorg mir eine«, sagte er.
    Staats knurrte verblüfft. Meintje blickte vom Teller auf, und sogar Douw, der eben noch seine gesamte Aufmerksamkeit auf die Fleischpastete und den eingelegten Kohl konzentriert hatte, warf ihm einen fragenden Blick zu. Es herrschte kurz Schweigen, da nun auch die kleinen Kinder zu essen aufhörten und sich umschauten, als hätte ein Geist das Zimmer betreten. Meintje begriff als erste. »Du meinst doch nicht etwa –?«
    »Genau«, sagte Jeremias. »Neeltje Cats.«

TOFU
    »Jetzt hab ich’s vergessen – magst du nun Tofu oder nicht?«
    »Sicher«, sagte sie, »ich mag alles.« Sie hockte zusammengekauert in einer Ecke von Tom Cranes Bett, voll angezogen, in Handschuhen, Maximantel und Strickmütze, und nippte sauren Wein aus einem Senfglas. Nur einmal, höchstens zweimal im Leben war ihr kälter gewesen. Sie zog sich die muffigen, kalten Laken und Daunendecken über den Kopf und versuchte, das Zittern ihrer Schultern zu unterdrücken.
    »Gemüsezwiebeln?«
    »Gerne«, kam die Antwort gedämpft durch den Stoff.
    »Knoblauch? Sojafleisch? Kürbis? Bierhefe?«
    Jessicas Kopf schob sich durch die Decken. »Hab ich mich jemals beschwert?« Sie befand sich zwei Meter über dem Boden, denn dort hatte Tom Crane sein Bett gebaut – hoch oben, direkt unter dem nackten Dachgebälk voller Spinnweben, herabbaumelnden Hülsen toter Insekten, schlierigem Vogel- oder Fledermauskot und Schlimmerem. Als sie das erste Mal im Blockhaus gewesen war – im vorletzten Sommer, zusammen mit Walter –, hatte sie Tom wegen des Hochbetts gefragt. Er hatte neben dem speckigen Fenster in einem speckigen Secondhand-Sessel von der Heilsarmee gesessen, die Haare schon damals mehr als schulterlang, und aus einem Bierkrug, der von einem irischen Pub in New York ausgeborgt war, ein übel aussehendes Gebräu aus Trockenmilch, Eigelb, Lezithin, Proteinpulver und Weizenkeimen geschlürft. »Komm mich mal im Winter besuchen«, hatte er geantwortet, »dann fragst du nicht mehr.«
    Jetzt verstand sie. Hier oben, auf dem luftigen Ehrenplatz, spürte sie allmählich erste schwache Ausstrahlungen des Holzofens. Sie streckte ihm ihr Glas hin. »Du meinst, da unten wird es überhaupt nie warm?«
    In seinem zerschlissenen Fliegermantel, einem schweißfleckigen Thermo-Unterhemd und den Stiefeln mit kaputten Reißverschlüssen flitzte unter ihr Tom in der Einzimmerhütte herum wie der Koch von »Fagnoli’s Pizza« nach dem Basketballspiel der High-School. Obwohl er gleichzeitig Brennholz nachlegen, Zwiebeln, Sellerie und Schnittlauch kleinhacken, in einem verdreckten Gurkenglas acht Tassen braunen Reis abmessen und das siedende Öl am Boden eines 25-Liter-Topfes umrühren mußte, der so schwarz war, daß er ein Relikt des

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