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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Und auch als er ihr das Stück Papier in die Hand gedrückt hatte, hatte sie gewußt, daß es von Jeremias war und daß es ihr ein neues Leben eröffnen würde.
    Mit klopfendem Herzen war sie aus dem Kreis der Familie verschwunden, die sich um den gebrechlichen Indianer geschart hatte, und durch die Tür hinaus Richtung Latrine gehuscht. Sobald sie außer Sicht war, sobald sie sicher war, daß die neugierigen Blicke der Eltern und Schwestern sie nicht mehr suchten, faltete sie den Zettel auseinander. Darauf fand sie eine sorgfältig abgeschriebene Fassung von Jacob Cats’ Lobgesang auf die Freuden des Ehestandes. Sie überflog die Zeilen, doch nicht das Gedicht rührte sie, sondern der Abschiedsgruß darunter. Mit seiner ungelenken Hand hatte Jeremias in wackligen Blockbuchstaben Ich werdich holn komm geschrieben und dann über den Rest der Seite in einer wahren Sintflut von Schlenkern und Strichen seine Unterschrift gesetzt. Und jetzt, als Neeltje ungekämmt und in schlammigen Pantinen vor ihm stand, Schlaf in den Augen, den Korb mit den Eiern an den Busen gepreßt, wurde ihr bewußt, daß er gekommen war, um sein Versprechen zu erfüllen. Klar? Es war einfach perfekt.
    »Dein Vater hält wohl nicht viel von mir«, sagte er.
    Sie streckte die Hand nach der Narbe aus, die quer über seine Wange verlief. »Macht nichts«, flüsterte sie. »Ich schon.«
    Er brauchte eine Minute – eine ganze Minute, die vom Brüllen der Rinder akzentuiert und vom fischigen Gestank des Flusses durchströmt war –, bis er ihr in die Arme fiel. Es umfing sie der Nebel, das Gackern der Hühner, der üppige, wilde Duft einer neu anbrechenden Zeit. Als er endlich sprach, war seine Stimme belegt. »Stell den Korb da weg«, sagte er.
    Um vier Uhr nachmittags, als Joost Cats sich den knochigen Rücken Donders, seines halbblinden Kleppers, hinunterschwang und das Hinterteil seiner mächtigen, schweißdurchnäßten Tuchhosen glattklopfte, stand der Korb immer noch im Kot. Er war den ganzen Tag in Van Wartville gewesen und hatte wieder mal einen Streit zwischen Hackaliah Crane und Reinier Oothouse schlichten müssen – diesmal ging es um das Schicksal einer mageren, schlaffbäuchigen Sau, die der Yankee beim Aufwühlen seiner Zwiebelsaat ertappt hatte –, bevor er nach Hause galoppierte, in der Tasche ein Paar von Jan Pieterses besten Seidenstrümpfen für Neeltje zum Geburtstag. Als er den keuchenden Gaul in den Stall führte und dabei daran dachte, wie Reinier Oothouse sternhagelvoll vor dem Yankee auf die Knie gefallen war und um das Leben seiner Sau gebettelt hatte wie ein Vater, der um sein Kind fleht (»Bringt sie nicht um, tut meiner kleinen Speelgoed nicht weh, sie hat’s nicht so gemeint, ist noch nie bös gewesen, alles, ich geb Euch alles, was Ihr wollt«), da stürzten seine beiden Jüngsten mit wirbelnden Armen und Beinen aus dem Haus, aus ihren Gesichtern strahlte die reinste Sensationslust. »Vader! Vader!« riefen sie atemlos in gepiepstem Unisono, »Neeltje ist weg!«
    Weg? Was redeten sie denn da? Weg? Doch im nächsten Moment sah er seine Frau in der Tür stehen, sah ihre Miene, und da wußte er, daß es stimmte.
    Angeführt von der quirligen Trijintje und der wie trunkenen Ans umrundeten sie den Stall und betrachteten grübelnd den umgestürzten Korb, die Spuren im Schlamm und die zerbrochenen Eier. »Das waren bestimmt Indianer!« schrie Ans. »Ob die sie wohl entführt haben und jetzt eine weiße Squaw aus ihr machen?«
    Gekrümmt wie eine Sichel stand Joost da, strich sich das feiste Kinn und versuchte, es sich vorzustellen – nackte rote Teufel, die im Unterholz lauerten, um seine arme, wehrlose Neeltje niederzuknüppeln, die derbe Hand, die sich über ihren Mund schloß, eine stinkende Hütte mit schimmligen Fellen, die öligen, geilen Krieger, wie sie vor dem Eingang Schlange standen und einander in die Rippen boxten ... »Wann?« brachte er hervor, an seine Frau gewandt.
    Geesje Cats war ein mürrisches Weib, keine Hüften, kein Fleisch auf den Knochen, abgemagert, eine Frau, die nur Töchter gebar und ihre Sorgen in den Mundwinkeln zur Schau trug. »Heute morgen«, sagte sie mit furchtsamem Blick. »Trijintje war’s – die hat ihn gefunden, den Korb. Wir haben gerufen und gerufen.«
    Die Spuren im Schlamm waren stumme, gekräuselte Münder, die dem schout rein gar nichts sagten. Während er auf den traurig umgekippten Korb und die ausgelaufenen Eidotter starrte, die sich wie Finger einer zugreifenden Hand in

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