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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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einen uralten, zerbeulten Schlapphut, dem die halbe Krempe fehlte. Der Lendenschurz hing ihm von der Hüfte herab wie eine Zunge, seine Beine waren mit Schlamm bespritzt, und seine Mokassins waren schwarz wie der Schlick in den Austerbänken der Tappan Zee. Einen ewigen Moment lang stand er nur so da, schwankte leicht und blinzelte im Licht der Kerzen, die überall im Zimmer brannten.
    »Nun, Jan«, fragte der patroon mit pfeifender Stimme, »was ist los?«
    »Bier«, sagte der Indianer.
    »Pompey!« rief Vrouw Van Wart, und der Schwarze steckte erneut den Kopf herein. »Bring Bier für den alten Jan.«
    Pompey schenkte ein, Jan trank. Der patroon wirkte überfordert, der schout war gespannt, der jongheer zornig. Mariken, die oft mit Neeltje gespielt hatte, beobachtete die Szene mit der blassen, angestrengten Miene eines Harlekins.
    Der alte Indianer setzte den Becher ab, sammelte sich kurz und begann einen langsamen, schlurfenden Tanz um den Tisch, dabei sang er ständig Ay-yah, neh-neh, Ay-yah, neh-neh vor sich hin. Nach einem halben Dutzend Runden skandierte er schließlich seine Botschaft – auf drei Tönen und zum selben Takt:
    Toch-ter/schickt dir
    be-ste Grü-ße/neh-neh.
    Und dann hörte er auf. Hörte auf zu singen, zu tanzen. Wie angewurzelt blieb er stehen, wie die Figur an einer Turmuhr, nachdem die Stunde geschlagen hat. »Schnaps«, sagte er. »Genever.«
    Diesmal jedoch bekam Pompey keine Gelegenheit, den Wunsch zu erfüllen. Ehe er auch nur den zustimmenden Blick des patroon einholen, geschweige denn die Tonflasche nehmen und einschenken konnte, hatte der jongheer den Indianer gegen die Wand gedrängt. »Wo ist sie?« wollte er wissen. »Geht es um Lösegeld, ist es das, was ihr wollt? Na?«
    »Laßt ihn!« Joost packte Stephanus am Arm und schob sich zwischen die beiden. »Jan«, sagte er mit versagender Stimme, »wer ist es gewesen? Wer hat sie jetzt? Mohonk? Wappus? Wennicktanon?«
    Der Indianer starrte auf seine Füße. Auf seinem Gesicht war etwas Dreck verschmiert. Er schmollte wie ein trotziges Kind. »Das war ganze Botschaft«, sagte er.
    »Sonst nichts? Das war schon alles?«
    »Hör zu, du Hundsfott«, begann Stephanus und wollte wieder auf ihn losgehen, doch Joost hielt ihn zurück.
    »Aber – aber wer hat dir die Botschaft aufgetragen?«
    Der Indianer sah sich suchend im Zimmer um, als versuchte er sich zu erinnern. Im Hintergrund hörte Joost, wie Vrouw Van Wart mit scharfer, rasselnder Stimme auf ihren Gatten einredete. »Sie selber«, sagte Jan schließlich.
    »Neeltje?«
    Der Indianer nickte.
    »Aber wo ist sie? Wo hat sie es dir gesagt?«
    Das war schon schwieriger. Joost goß Jan einen Zinnbecher mit Genever ein, während der jongheer vor Wut schnaubte und der patroon , seine Frau, seine Schwägerin und seine Nichte wie gebannt zusahen, als wären sie im Theater. Plötzlich zog der Indianer mit der flachen Hand einen schrägen Strich durch die Luft; dann machte er mit den Fingern das Zeichen von zwei marschierenden Beinen.
    »Was?« fragte Stephanus.
    »Nun rede er endlich, Mann«, krächzte der patroon .
    Nur Joost hatte verstanden, und er verdaute dieses Wissen einen ohnmächtigen Moment lang, so wie das Opfer eines Bauchstichs fassungslos auf das Heft des Messers blickt. Der Indianer hatte das Zeichen für den Krüppel gemacht, für den mit dem halben Bein – das Zeichen für Jeremias Van Brunt.
    Am nächsten Morgen, ehe die Hunde noch die Schnauzen aus dem warmen Nest ihrer Vorderpfoten gehoben und der Hahn Gelegenheit gehabt hatte, sich den Schlaf aus den Flügeln zu schlagen, sattelte Joost den lahmen, widerwilligen Donder und machte sich auf den Weg nach Nysen’s Roost. Begleitet wurde er vom jongheer , der ein unerwartet heftiges Interesse am Wohlergehen seiner Tochter an den Tag legte, und mit sich nahm er ein Paar Duellpistolen, vom patroon feierlich einer Truhe im herrschaftlichen Schlafzimmer entnommen (natürlich zusätzlich zu dem silberbeschlagenen Rapier, das schon einmal erhebliche Verwüstungen in der Physiognomie des jungen Van Brunt angerichtet hatte). Der jongheer , in Seidenwams, Rüschenmanschetten und mitternachtsblauem Umhang mit dazu passenden Kniehosen, hatte die sperrige Arkebuse gegen eine mit Taubenschrot geladene Büchse und einen florentinischen Dolch eingetauscht, der an ein chirurgisches Instrument erinnerte. Zur Vervollständigung dieses Ensembles trug er ein juwelenbesetztes Rapier an der Seite, einen weichen Filzhut, der von einer meterlangen

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