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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Sünde und Verdammnis!«
    Der Raum war dunkel, kalt, feucht wie eine Höhle; er stank wie ein Schweinekoben, und drinnen tropfte der Regen beinahe ebenso hartnäckig wie draußen. Joost sah einen roh gezimmerten Tisch, eine Wand, an der Küchengerätschaften hingen, den kalten Herd – und dort, ganz hinten, das Bett. Da lagen sie. Zusammen. In ihren Nachthemden und einen Berg stinkender Felle über sich getürmt. Er sah das Gesicht seiner Tochter als weißen Fleck im Zwielicht, ihren Mund zum Schrei geöffnet, die Augen weit aufgerissen. »Schlampe!« röhrte er los. »Dreckstück, Dirne, du Hure Babylons! Steh auf aus diesem Bett der Unzucht!«
    Im nächsten Augenblick ging es drunter und drüber. Alles passierte auf einmal: Aus dem Dunkel flitzte wie eine Katze der kleine Wechselbalg hervor und huschte durchs Zimmer, um hinter seinem Onkel Schutz zu suchen; im Eingang erschien affektiert grinsend und mit gezücktem Schwert der jongheer ; ein Kochtopf polterte zu Boden; Neeltje schrie auf. Und Jeremias, der ohne den stützenden Holzfuß überrascht worden war, sprang aus dem Bett und kam auf den schout zu, mit übelwollender Miene.
    Kein Hieb diesmal, sondern ein Stoß, der töten sollte, der schout stellte sich vierschrötig auf und stieß den Arm nach vorn; er hätte Jeremias aufgespießt wie eine Bratwurst und seine Tochter nach der Ehre auch noch des Gatten beraubt, wäre Jeremias nicht gestolpert. Doch er stolperte und fiel krachend zu Boden, während die Spitze des Rapiers über seinem Kopf zitterte wie eine wütende Hornisse.
    Nun war Joost Cats durchaus ein beherrschter Mann, der weder zu Temperamentsausbrüchen noch zu Gewaltakten neigte und viel lieber die Rolle des Mittlers als jene des Vollstreckers einnahm. An jenem kalten Novembertag, als der diensteifrige, pflaumenärschige Esel von commis ihn, den schout , in die nackte Wildnis hinausgezerrt hatte, um einen halbverhungerten Burschen von einem wertlosen, unheilbringenden Stück Land zu vertreiben, hatte ihm der junge Van Brunt leid getan; wie ein beschämter Narr hatte er am Herd von Meintje van der Meulen gestanden, den Federhut verlegen in der Hand, und den Hieb, den er dem Jungen übergezogen hatte, von ganzem Herzen bereut. Aber trotz alledem wollte er ihn jetzt umbringen. Er sah seiner Tochter in die Augen und dann hinunter auf diesen menschlichen Abschaum, der sie ihm geraubt hatte, und er wollte ihn erschlagen, abstechen, ihm Herz und Leber, beide Augäpfel sowie Blase und Milz durchbohren.
    War der erste Hieb noch instinktiv geführt, so war der zweite ein Akt der Befreiung. In ihm brachen sich Schuld, Wut, Angst, Ärger und Eifersucht Bahn, und er stieß mit der ganzen Wucht seines hervorschnellenden Arms zu. Jeremias wich ihm aus. Er rollte nach rechts. Neeltje schoß mit ausgebreiteten Armen aus dem Bett hoch, der jongheer trat unsicher in den Raum, das Kind greinte, der Regen auf dem Dach steigerte sich zum Crescendo. »Spuyten duyvil!« fluchte Joost und führte einen dritten Hieb aus, der wieder weit daneben, in die zertrampelte feuchte Erde des Fußbodens ging.
    Er sammelte sich gerade für den vierten, den tödlichen Stoß, als Neeltje sich mitten ins Getümmel und über Jeremias warf. Dabei brüllte sie: »Töte mich! Töte mich!« Joost stand tief vornübergebeugt, sein Rücken schmerzte ihn unsäglich, Vernunft und Beherrschung waren längst dahin, und er hielt nur kurz inne, um sie mit der freien Hand zu packen und roh beiseite zu schleudern. Sie haßte ihn, seine eigene Tochter, fletschte die Zähne, riß ungestüm an seinem Ärmel, aber egal. Die Klinge blitzte in seiner Hand auf, und er dachte nur an den nächsten Stoß, und den nächsten und den darauffolgenden – er würde ein Nadelkissen aus diesem Schweinehund machen, ein Sieb, einen Schweizer Käse!
    Doch Joost hatte nicht nur die Beherrschung, sondern auch den Überblick verloren: sein Rapier hatte nämlich den letzten Stoß bereits getan. In dem Getümmel war Jeremias auf die Beine (vielmehr auf das Bein) gekommen und hatte sich eine primitive Waffe gegriffen, die in der Kaminecke hing, und zwar einen pogamoggan der Weckquaesgeeks, in der Gegend als Kuriosum der Eingeborenen bekannt. Es handelte sich dabei um einen biegsamen Kirschholzstecken, an dem vorne mit Lederriemen ein scharfkantiger, fünf Pfund schwerer Granitbrocken befestigt war. Jeremias holte einmal aus, erwischte den schout direkt über dem Ohr und entsandte ihn in die abrupt hereinbrechende Dunkelheit der

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