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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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gelben Feder gekrönt war, und so viele Schnallen aus Silber und Messing, daß er wie ein Sack voller Kleingeld klimperte, während sein Pferd den Pfad entlangtrottete.
    Es war ein typischer Apriltag im Tal des Hudson – kalter Nieselregen, die Erde verströmte Dampf, als täte sie den letzten Atemzug –, und sie kamen auf dem glitschigen Uferweg nur langsam voran. Erst spät am Vormittag passierten sie die Ansammlung von Häusern, die eines Tages zu Peterskill werden sollte, und wandten sich auf der Van Wart Road ostwärts. Der schout hockte vornübergebeugt im Sattel und hatte wenig zu sagen. Während er im erratischen Rhythmus des Kleppers gerüttelt und gebeutelt wurde, stellte er sich Jeremias Van Brunts Gesicht mit derartiger Intensität vor, daß er dabei seine Umwelt völlig vergaß. Er sah die wachsamen Katzenaugen, die gegen die grelle Sommersonne anblinzelten, sah das kantige Kinn und das trotzige Grinsen, sah die Klinge herabsausen und das Blut fließen. Und er sah Neeltje, wie sie über dem niedergestreckten Landbesetzer kniete und ihren Vater anfunkelte, als wäre er der Verbrecher, der Besitzstörer, der Verhöhner aller Gesetze Gottes und der Menschen. War sie etwa freiwillig mit ihm gegangen? Konnte das denn sein? Der Gedanke betäubte ihn.
    Mochte Joost auch wenig mitteilsam sein, dem jongheer fiel es gar nicht auf. Seit ihrem Aufbruch aus Croton plapperte er unaufhörlich, bis sie an dem vom Regen angeschwollenen Van Wart Creek eine Furt erreichten und Joost ihn zum Schweigen brachte, indem er gebieterisch den Finger an die Lippen legte. Stephanus, der vom Indianerproblem bis zu van den Vondels Gedichten alle möglichen Themen durchgegangen war und trotz der unwirtlichen Witterung und des tödlichen Ernstes ihrer Mission keine fünf Minuten zuvor noch ein Volksliedchen gesummt hatte, stieg nun mit wachsamem Blick vom Pferd. Joost tat es ihm nach und führte seinen Klepper auf dem steilen, rutschigen Hügel nach Nysen’s Roost hinauf hinter sich her. Nasse Zweige klatschten ihnen ins Gesicht, der jongheer glitt aus, und als er sich erhob, war er von oben bis unten mit Schlamm beschmiert; Armeen von Schnaken attackierten ihnen Mund und Nase und umschwärmten ihre Augen. Auf halber Höhe ging das Nieseln in handfesten Regen über.
    Das Haus lag schweigend da. Kein Rauch stieg aus dem Schornstein auf, keine Tiere tummelten sich auf dem Hof. Der Regen fiel herab wie ein Vorhang aus flüssigem Zinn. »Was meint Ihr?« flüsterte der jongheer . Er hatte den Umhang fest um sich geschlungen, das Wasser rann in Strömen von seiner Hutkrempe.
    Joost zuckte die Achseln. Da drin war seine Tochter, das wußte er. Bot ihm die Stirn, hinterging ihn, lag in den Armen dieses Abtrünnigen, dieses Grimassenschneiders, dieses unverbesserlichen Dickkopfs. »Er hat sie mit Gewalt genommen«, raunte Joost. »Gebt ihm kein Pardon.«
    Vorsichtig näherten sie sich dem Haus. Joost spürte, wie der Schlamm an seinen Stiefeln zerrte; die Hutfeder hing ihm schlaff ins Gesicht, und er fegte sie mit der triefnassen Hand beiseite. Dann riß er das Rapier heraus. Er blickte zum jongheer hinüber, der ebenfalls blankzog, die Feuerwaffen waren durch die Nässe nutzlos geworden. Dem jongheer tropfte Wasser von der Spitze seiner wohlgeformten Nase, die gelbe Feder klebte an seinem Rücken wie ein toter Fisch, und seine Miene wirkte seltsam erregt, als wäre er auf einer Fuchsjagd oder beim Taubenschießen. Sie hatten noch etwa sieben Meter bis zur Tür, als ein plötzlich einsetzendes Geräusch ihren Schritt gefrieren ließ. Es war sehr wohl jemand im Haus, und wer es auch sein mochte, er sang – und Joosts Ohren klang es vertraut wie ein Wiegenlied daheim in Volendam:
    Guten Abend, mein Liebchen,
Mein kleines, süßes Stück,
Küß mich, jetzt sind wir allein ...
... du bist mir Herz und Trost, mein Schatz,
Oh! Oh, jetzt hab ich dich rumgekriegt!
    Jemand kicherte, und dann drang Neeltjes tiefer Alt (unzweifelhaft, kein Irrtum möglich, der schout kannte diese Stimme so gut wie seine eigene) durch das Prasseln des Regens, um die letzte Zeile aufzunehmen – »Oh! Oh, aber ich hab doch dich rumgekriegt!« –, gefolgt von wildem Applaus.
    Das reichte, das war nun wirklich zu viel, in diesem Moment bestätigten sich seine schlimmsten Befürchtungen und düstersten Ahnungen. Ohne nachzudenken rannte der schout über den Hof und stieß die Tür auf, schwenkte das Rapier wie der Erzengel sein Schwert und sprudelte hervor: »Sünde!

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