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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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von den Pocken, der Bleichsucht und diversen Geschlechtskrankheiten dahingerafft worden waren, die die Wallonen den Holländern, die Holländer den Engländern und die Engländer den Franzosen zuschrieben. Ihr Name war Wahwahtaysee.
    Mohonk sagte etwas in seiner Sprache, das Agatha nicht verstand, und seine Mutter, Wahwahtaysee die Leuchtkäferfrau, trat vorsichtig in die Hütte ein. Mit sich brachte sie einen verschnürten Beutel mit teufelsaustreibenden Requisiten (Eckzähne von Opossum und Wölfin, den Wirbelstrang eines Störs, diverse Federn, getrocknete Blätter und mehrere verfärbte Klumpen so esoterischen organischen Materials, daß sogar sie Herkunft und Zweck schon vergessen hatte) und einen scharfen, ranzigen Geruch, der Agatha an die Ebbe bei Twistzoekeren erinnerte. Sie würdigte Harmanus, der inzwischen auf seiner Matte herumzuwüten und wiederum nach Kuchen zu brüllen begonnen hatte, kaum eines Blickes, sondern schlurfte zum Tisch hinüber, auf den sie zwanglos den Inhalt des Beutels entleerte. Dann rief sie ihren Sohn mit knappen, ärgerlichen Silben zu sich, die von ihren Lippen zischten wie aus dem Stock schwärmende Wespen. Mohonk seinerseits sagte etwas zu Katrinchee, die sich an Jeremias und Wouter wandte. »Sie will ein Feuer angefacht haben – ein riesiges Feuer. Holt Holz, schnell!«
    Bald war es im Raum höllisch heiß – heiß wie in einer finnischen Sauna –, und die alte Squaw, deren Schweiß leicht nach ranzigem Nerzöl roch, mit dem sie sich aus Stärkungs- und Gesundheitsgründen einrieb, warf nun ihre Amulette nacheinander in die Flammen. Dabei intonierte sie die ganze Zeit einen kratzigen Singsang, wirksam gegen die pukwidjinnies , den Totengeist Jeebi und Teufel aller Schattierungen. Wie Katrinchee später von Mohonk erfuhr, wollte sie die bösen Geister vertreiben, die sich an diesem Ort versammelt und Harmanus irgendwie infiziert hätten. Denn das Blockhaus, das sechs Jahre zuvor von Wolf Nysen, einem Schweden aus Pavonia, gebaut worden war, stand genau an der Stelle, wo die Jäger damals Minewa gefunden hatten.
    Nach einer guten Stunde stieß die Alte die Hand ins Feuer – und hielt sie dort, bis Agatha glaubte, das verschmorte Fleisch zu riechen. Die Flammen leckten an den gespreizten Fingern, spielten über die hervortretenden Venen auf dem Handrücken, doch Wahwahtaysee zuckte nicht mit der Wimper. Sekunden verrannen wie Blutstropfen, Harmanus lag ruhig da, die Kinder sahen voller Entsetzen zu. Als die Squaw endlich ihre Hand aus dem Feuer zog, war sie unversehrt. Sie hielt sie in die Höhe und betrachtete sie lange, als hätte sie noch niemals Fleisch und Blut, Sehnen und Knochen gesehen; dann erhob sie sich ächzend, schlurfte durchs Zimmer und legte Harmanus die offene Handfläche auf die Stirn. Er reagierte nicht, lag nur da und starrte sie ausdruckslos, interesselos an, mit dem gleichen Blick wie vor einer Stunde, als sie durch die Tür gekommen war. So ziemlich der einzige Unterschied war, daß er nicht nach Kuchen verlangte.
    Am Morgen jedoch schien er wieder der alte zu sein. Bei Tagesanbruch stand er auf und scherzte mit den Jungen herum. Meintje van der Meulen, der ihre Not zu Ohren gekommen war, hatte ihnen ein halbes Dutzend kleiner, runder Brote geschickt, und Harmanus wählte das kleinste davon, steckte es in seinen Beutel, schulterte die Axt und ging aufs Feld hinaus. Zu Mittag kam er heim und schlürfte ein bißchen Erbsensuppe – »Nimm doch noch was, nur einen Löffel, Harmanus!« bat ihn Agatha, aber vergeblich –, und am Abend aß er ein Stückchen Rotbarsch, ein paar Salatblätter und zwei Maiskörner, bevor er friedlich in den Schlaf sank. Agatha fühlte sich, als wäre ihr eine unermeßliche Last von den Schultern genommen, sie fühlte sich dankbar und erleichtert. Natürlich, der Garten war geplündert und die Räucherkammer leer, und der alte Van Wart wollte fünfundsiebzig Gulden als Wiedergutmachung für seinen Eber, aber wenigstens hatte sie ihren Mann zurück, wenigstens war die Familie wieder intakt. In dieser Nacht sprach sie ein Gebet zum heiligen Nikolaus.
    Das Gebet stieß auf taube Ohren. Oder vielleicht wurde es von Knecht Ruprecht abgefangen, dem boshaften Diener des Heiligen. Oder vielleicht hatte, inmitten der Mysterien dieser Neuen Welt und ihrer mannigfaltigen, rivalisierenden Gottheiten, das Beten als solches, so wie Agatha es aus Twistzoekeren kannte, einfach keinen Sinn. Auf jeden Fall erhöhte sich das Tempo des Niedergangs:

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