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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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»Ich bin nur ein kleiner Junge«, sagte Jeremias schließlich, seine Stimme erstickt von der Last all dessen, was er durchgemacht hatte. »Vader und moeder sind tot, und alle anderen auch.«
    Der Verwalter rutschte auf dem Sattel herum und räusperte sich nochmals, dann sog er an seiner Pfeife. Ein Windstoß wehte den Rauch davon. »Ihr wollt also sagen, daß Ihr nicht zahlen könnt?«
    Jeremias wandte den Blick ab.
    »In diesem Falle, Sir«, sagte der Verwalter nach einer Weile, »muß ich Euch mitteilen, daß Ihr gegen die Bedingungen Eurer Übereinkunft mit dem Gutsherrn verstoßen habt. Ihr werdet den Grund und Boden daher leider räumen müssen.«

DER DRECK DER AHNEN
    Depeyster Van Wart, der zwölfte Erbe von Van Wart Manor, dieses Landsitzes aus dem späten 17. Jahrhundert am Rande von Peterskill oben auf Van Wart Ridge, von wo aus man einen weiten Blick über den Müllplatz der Stadt und den reißenden, stark verschmutzten Van Wart Creek hatte, war ein Terraphage. Das heißt, er aß Dreck. Nicht so gewöhnlichen wie faulendes Laub oder Teppichstaub, sondern eine ganz besondere Art von Dreck, knochentrocken und mit dem schwachen Geruch nach dem billionenfachen Tod der mikroskopisch kleinen Lebewesen, die ihm Textur und Substanz verliehen, Dreck, der seit dreihundert Jahren nicht das Licht der Sonne erblickt hatte und kühl und steril durch die Finger rieselte, auf seine Weise ebenso vergeistigt wie das Zeug, das unter dem Tempel von Angkor Wat begraben liegt oder in Grants Mausoleum in Washington vor sich hinschimmelt. Nein, was er aß, war der Dreck der Ahnen, mit der Gartenschaufel in den kalten, klimalosen Kavernen unter dem Haus ausgebuddelt. Auch jetzt, als er untätig an seinem repräsentativen Schreibtisch hinter der Milchglastür seiner Firma Depeyster Manufacturing saß und ans Essen, an die Mittagszeitung und an den Erwerb von Grundstücken dachte, war der Umschlag in seiner Brusttasche halb damit gefüllt. Von Zeit zu Zeit leckte er grüblerisch an der Zeigefingerspitze, schob sie verstohlen in den Umschlag und steckte sie sich in den Mund.
    Manche rauchten; andere tranken, betrogen beim Kartenspiel oder vergewaltigten ihre Ehefrauen. Doch Depeyster gab sich nur dieser einen harmlosen Exzentrizität hin, seinem einzigen Laster. Mit zwei Jahren, er hatte kaum laufen gelernt, war er seinem Kindermädchen davongetrottet (einer uralten Schwarzen namens Ismailia Pompey, die seit Ewigkeiten zur Familie gehörte und einfach ignorierte, daß es die Sklaverei seit Lincoln nicht mehr gab), hatte die ausgebleichte Holztür mit dem abgeplatzten Lack halboffen gefunden und sich in die angenehm kühlen Tiefen des Kellers hinabbegeben. Leise zog er die Tür hinter sich zu und setzte sich zu seiner ersten Mahlzeit nieder. Während er in der Dunkelheit hockte und die Erde zwischen seinen Milchzähnen knirschen ließ, sie mit der Zunge zu Kügelchen formte und sich den leicht kotigen Geschmack munden ließ, tobte oben im Haus eine Suchaktion, die Teil der Familiengeschichte werden sollte. Immer tiefer zurückweichend ins nahrhafte Dunkel seiner Vorfahren, hörte er wohl tausendmal seinen Namen rufen; er lauschte, wie über ihm Schritte hektisch herumtrippelten, seine Mutter ins Telefon schrie und sein Vater, aus dem Büro nach Hause gerufen, wütend Sodakaraffe und Glas klirren ließ. Wie viele Male war die Tür seines Allerheiligsten aufgerissen worden, so daß er in dem Rechteck aus grellem Licht ein sorgenverzerrtes Erwachsenengesicht nach dem anderen erkannte? Wie viele Male hatten sie seinen Namen in die verzehrende Finsternis gerufen, ehe er endlich, als die Sonne bereits untergegangen war und sie den Grund des Teiches absuchten, wieder aufgetaucht war, die Lippen beschmiert mit seinem Geheimnis? Seine Mutter hatte ihn in einer Wolke von Körperwärme und Parfum an den Busen gedrückt, und sein Vater, dieser humorlose, lasterhafte Kerl, war in Tränen ausgebrochen: der ungeratene Sohn war heimgekehrt.
    Jetzt war er kein Kind mehr. Er war fünfzig – im Oktober würde er einundfünfzig –, elegant und gutaussehend, und seinem Akzent war der aristokratische Nachdruck der Roosevelts, Schuylers, Depeysters und Van Rensselaers anzuhören, die ihm vorangegangen waren, er war der Sproß der Dynastie der Van Warts und der nominelle Chef der Depeyster Manufacturing, ein Mann in den besten Jahren, braungebrannt, würdevoll und sportlich, der Mittelpunkt des Gesellschaftslebens der Stadt. Außerdem war er ein Mann, der

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