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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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mal wieder einen neuen Anstrich gebrauchen, die Glyzinie lockerte die Schieferschindeln in den Stufengiebeln der Vorderfront, die Fensterrahmen waren verzogen, das Dach war undicht und die Innenräume waren trotz ihrer Größe inzwischen zu klein geworden für das Durcheinander der geerbten Möbelstücke, aber in seinen Augen war Van Wart Manor immer noch das besterhaltene Haus seiner Art im ganzen Hudson Valley, ohne Ausnahme. Sicher, es gab die Museen – Philipsburg Manor, Sunnyside, das untere Gutshaus der Van Warts selbst –, aber das waren seelenlose Häuserhülsen, unbewohnt, gespenstisch und zu nichts nütze. Schlimmer noch waren die renovierten Privatvillen wie die von Terboss in Fishkill oder das Haus der Kents in Yorktown, mittlerweile im Besitz von Fremden, Parvenüs, Eindringlingen mit Namen wie Brophy, Righetti oder Mastafiak. Keine Spur von Tradition – ging alles auf irgendein Auswandererschiff zurück, das 1933 von Palermo in See gestochen war. Ein Witz war das. Ein schlechter Witz.
    Depeyster Van Wart stand in der lehmhaltigen Erde seines Rosengartens am Fuß des großen Rasenhanges vor dem Gutshaus und betrachtete mit aufwallendem Besitzerstolz seine Residenz: er war sich seiner Rechte und seines Ranges sicher, und jetzt, nach der kaum noch erhofften wunderbaren Neuigkeit von Joanna, war auch die Zukunft gesichert. Er war kein Parvenü – er war hier geboren, im herrschaftlichen Schlafzimmer im oberen Stock, zwischen der Chippendale-Kommode mit Aufsatz und dem Duncan-Phyfe-Kleiderschrank. Auch sein Vater war hier geboren, im Schatten desselben Schranks, und vor ihm auch dessen Vater. Seit mehr als dreihundert Jahren waren ausschließlich Van Warts über den Parkettboden gegangen, nur Van Warts hatten die ächzenden Treppen erklommen oder im urväterlichen Staub des ältesten und tiefsten Kellers gehockt. Und nun hatte er in seinem Herzen endlich auch die Gewißheit, daß nichts davon sich jemals ändern würde, daß Van Warts, und nur Van Warts, durch diese ehrwürdigen Gänge in eine goldene, grenzenlose, unermeßliche Zukunft schreiten würden.
    Denn Joanna war schwanger. Die dreiundvierzigjährige Joanna, seine Geliebte aus Jugendzeiten, die Mutter seiner Tochter, Expertin für Cremes, Lotions und die Kochkunst Neapels, des Languedoc und der Fidschiinseln, Streiterin und Lumpensammlerin für die Entrechteten – Joanna, diese Fremde in seinem Bett, war schwanger. Nach fünfzehn Jahren des verzweifelten Sehnens, der Anschuldigungen, der Bitterkeit und Verzweiflung war sie zu ihm gekommen, und er war bereit gewesen, keine Frage. Er hatte sich der Lage gewachsen gezeigt, hatte sie angebumst, geschwängert, ihr ein Kind gemacht. Aber nicht einfach ein Kind, nicht irgendein Kind – es würde ein Junge werden. Natürlich würde es ein Junge.
    Er erinnerte sich an die grausame Enttäuschung, die jenem berauschenden, urwüchsigen, spontanen Stelldichein vor dem Kamin im letzten Herbst auf den Fersen gefolgt war – Liebling , hatte sie ihm einen knappen Monat danach gesagt, ich glaube, ich bin schwanger. Schwanger? Vor Staunen hatte es ihm beinahe die Sprache verschlagen. Waren seine Gebete erhört, seine Hoffnungen exhumiert worden? Schwanger? Konnte es denn wahr sein? Hatte er tatsächlich noch eine Chance bekommen?
    Die Antwort war unmißverständlich wie der Strom des Blutes: nein, er hatte nicht. Es war falscher Alarm. Ihre Periode hatte sich verspätet, das war alles, und er verfiel in eine abgrundtiefe Verzweiflung, wie er sie noch nie erlebt hatte. Doch dann, kurz nach Neujahr, war sie wieder zu ihm gekommen. Und dann noch einmal. Sie hatte sich wie toll gebärdet, drängend und wild, ihre Haut war dunkel getönt gewesen von irgendeinem rötlichen Pigment, ein Geruch nach Sumpf und Lagerfeuern und bitteren, wilden Beeren hatte in den dicken Zöpfen ihres Haars gehangen, Wildleder auf nacktem Fleisch. Er war John Smith gewesen, und sie Pocahontas, ungezähmt, wild, fiebernd hatten sie sich gepaart, als ginge es um Leben und Tod. Wer war sie, diese Fremde unter ihm mit dem Moschusduft und dem entrückten Blick? Es war ihm egal. Er hatte sie bestiegen und penetriert, hatte seinen Samen tief in ihr vergossen. Selig. Dankbar. Und gedacht: diese Indianermarotte ist vielleicht doch nicht so übel.
    Dann kam der zweite Alarm, die Fahrt zum Arzt, der Test, die Untersuchung, die Unbestreitbarkeit des Resultats: Joanna war schwanger. Was machte es da aus, daß sie vollkommen übergeschnappt war? Was

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