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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Piet weg. Walter erwachte vom Herumgeklapper der Tagesschwester und den verstohlenen Klängen von Wahn und Verzweiflung, die vom Korridor zu ihm hineinsickerten, und sah, daß das Bett in der Ecke frisch bezogen war, als hätte nie jemand darin gelegen. Nach dem Frühstück kam Lola und holte ihm von einem Regal im Vorraum den großen, staubigen, leinengebundenen Atlas, und Walter fand kaum die Zeit, ihr kurz die Wange zu küssen, bevor er ihn ihr aus der Hand riß. »Barrow, Barrow, Barrow«, murmelte er vor sich hin, blätterte ungeduldig die Seiten um und betrachtete dann die vergletscherten, zerklüfteten Umrisse des öden, geheimnisvollen großen Bundesstaats, als sähe er ihn zum erstenmal. Er fand Anchorage, die Halbinsel Kenai, Spenard und Seward. Er machte die Alëuten aus, die Talkeetna Mountains, Fairbanks und die Kuskokwim-Gebirgskette. Nur Barrow nicht. Er mußte im Register nachschlagen – G1 – und mit dem Finger auf der Karte bis ganz nach oben fahren. Da war es: Barrow, die nördlichste Stadt der Welt. Barrow, wo der eisige Wind die Temperaturen auf minus fünfundsiebzig Grad sinken ließ und drei Monate des Jahres hindurch ewige Nacht herrschte.
    Lola, die ihm versonnen lächelnd zusah, stellte eine Frage: »Wieso interessierst du dich eigentlich plötzlich für Alaska – willst du auf Seehundjagd gehen?«
    Er fuhr hoch, als hätte er vergessen, daß sie da war. »Im Fernsehen kam was darüber«, sagte er und setzte sein fröhlichstes Lächeln auf. »Dachte mir, ich sollte mal verreisen.«
    »Du meinst wohl: vereisen ?«
    Sie lachten. Aber sofort, nachdem sie gegangen war, ließ er sich von der Telefonistin mit einem Reisebüro in Croton verbinden. Allein der Flug von Kennedy Airport nach Anchorage/Fairbanks und zurück kam auf sechshundert Dollar plus Umsatzsteuer, und die Verbindung von Fairbanks nach Barrow war recht lückenhaft und kostete mindestens weitere hundert Dollar, ganz zu schweigen von den Ausgaben für Taxis, Essen und Übernachtungen. Woher sollte er soviel Geld nehmen?
    Als Walter zum zweitenmal aus dem Krankenhaus entlassen wurde, um seine Genesung zu Hause fortzusetzen, holte ihn nicht die süß duftende Jessica mit einer Flasche Champagner ab; diesmal verließ Walter die deprimierenden mandarinen- und avocadofarbenen Gänge in Gesellschaft seiner Adoptivmutter, und die Geister der Vergangenheit begleiteten ihn mehr denn je. Lola saß am Steuer: weiße Haare, die Haut gebräunt wie Leder, in den Ohren die Türkis-Clips, die sie sich damals in New Mexico gekauft hatte. Der Volvo klapperte und spotzte. Ob er einen Monster-Burger wollte? fragte sie nebenbei. Mit Gurken, scharfer Soße, Mayonnaise, Senf und Drei-Sterne-Chili drauf? Oder wollte er lieber gleich nach Hause und sich hinlegen? Nein, sagte er, nach Monster-Burgern stehe ihm nicht der Sinn, obwohl das Essen im Krankenhaus der reinste Fraß gewesen sei – ohne jeden Geschmack, total zerkocht und viel zuviel Wackelpudding –, aber nach Hause wollte er auch nicht.
    Also wohin dann – zu »Fagnoli’s«? Eine Pizza essen?
    Nein. Eigentlich auch nicht. Im Grunde wollte er zu Depeyster Manufacturing. In der Water Street.
    Depeyster –?
    Ja, genau. Er mußte sich da nach einem Job umsehen.
    Aber er war doch gerade erst aus dem Krankenhaus entlassen worden. Hatte das nicht noch etwas Zeit?
    Nein, hatte es nicht.
    Den Eingang mit der Aufschrift PERSONAL ließ Walter links liegen – er wies Lola an, direkt vor dem Haupteingang zu parken und stieß kraftvoll die große Doppeltür auf, durch die man in die teppichgepolsterte Vorhalle der inneren Gemächer gelangte, gelenkig wie ein Turner stürmte er auf seinen Krücken voran, das Gewicht auf die Arme gestützt und auf das, was jetzt, in Ermangelung eines besseren, sein gutes Bein war. Auch Miss Egthuysen ließ er links liegen, stampfte den Gang entlang, als wäre er dort zu Hause, hielt einen Sekundenbruchteil inne, bevor er an die Milchglastür des Chefbüros mit der Nummer 7 klopfte, wartete nicht erst auf eine Antwort, sondern schob sich sofort in den Raum hinein.
    »Walter?« sagte Van Wart überrascht und stand vom Schreibtisch auf. »Aber ich dachte ... na ja, meine Tochter hat mir erzählt –«
    Doch Walter hatte keine Zeit für Erläuterungen. Er beugte sich vor, die Polster seiner Krücken bohrten sich wie Messer in die Achselhöhlen, und winkte alle Einwände beiseite. »Wann kann ich anfangen?« fragte er.

TAG DER OFFENEN TÜR
    Na gut, dachte er, das Haus konnte

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