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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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er kniff die Lippen zusammen und runzelte überrascht die Stirn.
    »Du weißt doch, der Job mit Jessica? Am Indian Point.«
    »Nein, wußte ich nicht«, murmelte Walter und wandte sich zur Seite, um in einen Korb mit Pflaumen zu fassen; die dunklen, fleckigen Früchte wirkten in seiner Hand wie seltsame Münzen, »– ich wollte bloß ... na ja, wissen ... ob es ihr gutgeht und so.«
    Der Heilige der Wälder warf einen nervösen Blick den Gang hinauf, sah an den Kassen, den gemächlichen Ladenhilfen und den ungeduldigen Hausfrauen vorbei auf die automatische Tür. Es war eine gewöhnliche Supermarkttür – Eingang und Ausgang nebeneinander –, doch plötzlich hatte sie einen neuen, höllischen Aspekt gewonnen.
    »Dann hast du wohl auch nicht mehr so viel mit ihr zu tun, was?« fragte Walter und ließ eine Handvoll Pflaumen in eine Plastiktüte fallen. Tom bemerkte, daß er den Einkaufswagen dazu benutzte, sich abzustützen, ihn so verwendete wie eine alte Frau mit einem kaputten Hüftgelenk eine Gehhilfe aus Aluminium.
    »Na ja, nein, das würd ich auch wieder nicht sagen ...« Er atmete tief ein. Was soll’s schon, dachte er, ich kann es ihm genausogut gleich sagen – irgendwann kriegt er’s sowieso mit. »Also, eigentlich ist das so, äh« – andererseits, warum sich diesen wunderschönen Nachmittag verderben? – »Mist, verdammter, ich glaube, ich hab mein Geld im Auto vergessen, also ich werde dann mal lieber, äh, na ja –«
    Aber es war zu spät.
    Da kam sie. Jessica stob durch die Tür wie ein zum Leben erwachtes Plakat, wie Miss America, die über die vernichtend geschlagenen Nummern zwei, drei und vier hinwegschritt, mit glänzendem Haar, tadelloser Haltung, goldbraunen Beinen. Tom sah das sanfte Lächeln der Vorfreude auf ihren Lippen, beobachtete die graziösen Wendungen ihres Kopfes, während sie die Gänge nach ihm absuchte, und dann das volle Erstrahlen ihres Lachens, als sie ihn erblickte und winkte. Er winkte nicht zurück – er schaffte es kaum, zu nicken und die Lippen zu einem paralysierten Grinsen zu verziehen. Seine Schultern schienen im Brustkorb zu versinken.
    Walter hatte noch nicht aufgesehen. Er kämpfte mit einem widerspenstigen Bund Bananen, hielt sich etwas unsicher auf den Beinen und wartete darauf, daß Tom seine Bemerkung über das vergessene Geld fortsetzte. Jessica hatte schon die Hälfte des Gangs zurückgelegt, stand gerade zwischen den Auberginen und den Kürbissen, als sie ihn entdeckte. Tom sah, wie ihr Lachen erstarb und sie rot anlief. Verwirrung – nein, geradezu Panik – lag in ihren Augen und sie strauchelte, fiel beinahe über einen fetten Sechsjährigen, aus dessen Mund ein Milky Way wie eine zweite Zunge hervorragte. Tom versuchte, sie mit Blicken zurückzuschicken.
    Und dann sah Walter Tom an und bemerkte, daß Tom jemand anders ansah.
    »Jessica!« rief Tom und versuchte, möglichst viel Überraschung in seine Stimme zu legen. »Wir haben – gerade haben wir von dir geredet!«
    Walter war wie gelähmt. Er umklammerte den Einkaufswagen so fest, daß sich die Knöchel weiß verfärbten, und die Bananen hielt er im Arm, als wären sie lebendig. Jessica stand jetzt bei ihnen, unsicher, etwas zu groß und schlaksig, mit nackten Armen und Beinen, das knappe Oberteil war zu knallig, die emaillierten Clips brannten ihr an den Ohren. »Stimmt«, murmelte Walter, sah erst zu Boden und dann direkt in ihre Augen, »haben wir. Wirklich.« Und dann, mit leiser Stimme: »Hallo.«
    »So ein Zufall aber auch«, preßte Tom hervor und klatschte zur Bekräftigung in die Hände. »Mann«, sagte er, »Mann, du siehst vielleicht gut aus, Jessica. Findest du nicht auch, Van?« und beendete das Ganze mit einem mühsamen Lachen.
    Jessica hatte ihre Haltung wiedergefunden. Sie näherte sich Tom, aufrecht und selbstbewußt, die Haare hingen ihr über die Schultern, sie reckte den Hals, preßte die Lippen fest aufeinander und schlang ihren Arm um seine Hüfte. »Wir leben zusammen, Walter«, sagte sie. »Tom und ich. Draußen in der Hütte.«
    In diesem Augenblick fühlte sich Tom so klein und gemein, wie es einem Heiligen nur möglich ist. Er beobachtete Walter – seinen ältesten und engsten Freund –, der um seine Beherrschung rang, und er kam sich vor wie ein Lügner, wie ein Verräter, wie der Skorpion im Stiefel des Wanderers. Jessica drückte ihn noch fester. Sie lehnte sich mit praktisch ihrem gesamten Gewicht (das nach letzten Messungen gut fünf Pfund höher war als sein

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