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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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heranreichten.
    Er mochte gelassen wirken, doch unter den breiten Revers und der engen Taille seines beigen Bertinelli-Anzugs kochte er vor Wut. Und er schwitzte. Seine Achselhöhlen waren feucht – Deo, brauchte er nicht ein Deo? –, unter seinem Arrow-Hemd rann ihm die Nässe den Rücken hinunter, so daß es auf der Haut klebte, und zwischen den Beinen war auch alles klamm. Während er an der Kasse stand und die Herde der wiederkäuenden Angestellten, schwangeren Hausfrauen, quengelnden Kinder und verpickelten Ladengehilfen feindselig musterte, hatte er gute Lust, laut loszubrüllen, irgend etwas zu zerschlagen, die Faust auf den Kassentisch krachen zu lassen, bis die nackten Knochen seiner Hand unter der zerfetzten Haut zum Vorschein kämen, gebrochen, weiß und bis ins Mark verletzt. Tom Crane und Jessica. Das konnte nicht wahr sein. War es auch nicht. Sie hielten ihn zum Narren – es war nur ein Scherz, nichts weiter.
    Er neigte sich vor und versuchte, sich auf ein schmutziges Papierknäuel zu konzentrieren, das unter dem Süßwarenständer herumlag. Er zählte bis zwanzig. Schließlich, als er es nicht mehr aushalten konnte, hob er den Kopf und sah sich verstohlen um. Ein rascher Blick: erst rechts, dann links, dann nach vorne und zum Fenster hinaus auf den Parkplatz.
    Sie waren weg.
    Verdammter Mist. Am liebsten hätte er den ganzen Laden kurz und klein geschlagen, hätte sie umgebracht, und ihn gleich mit. »Hey, mal ein bißchen Tempo da vorne!« hörte er sich fauchen und sah, wie die Kassiererin, die Frau vor ihm in der Schlange und der magere Ladengehilfe plötzlich blaß wurden. »Glaubt ihr denn, ich hab den ganzen Tag Zeit?«
    Draußen stampfte er als erstes – noch bevor er seine Lebensmittel im Kofferraum des MG verstaute, sich das verschwitzte Jackett auszog und die Hemdsärmel aufkrempelte – am Waschsalon vorbei zum Getränkemarkt hinüber und kaufte eine Flasche Old Inver House. Normalerweise trank er nachmittags nicht – nicht einmal samstags –, und richtig besoffen oder stoned war er seit der Silvesternacht nicht mehr gewesen, seit seinem zweiten folgenschweren Irrtum angesichts der Geschichte. Aber jetzt lagen die Dinge anders. Diese Situation verlangte nach lindernden Maßnahmen, einem Dämpfen und Besänftigen des Geistes, einem Kontrollverlust. Er kippte die Einkäufe in den Kofferraum und rutschte hinter das Lenkrad. Gleich an Ort und Stelle, obwohl das Verdeck aufgeklappt war und alle Welt ihn sehen konnte, machte er den Scotch auf und nahm einen langen, brennenden Schluck. Und noch einen. Einer alten Frau mit fetten Armen, die ihn so mißtrauisch beobachtete wie seine Großmutter, warf er einen bösen Blick zu, dann schleuderte er den Schraubverschluß nach hinten, rammte sich die Halbliterflasche zwischen die Schenkel und schoß in einer Wolke von Auspuffqualm davon, wobei er eine Reifenspur zurückließ, als ob er ein Tier enthäutet hätte.
    Die Flasche war halb leer, und er donnerte den Mohican Parkway hinauf, vollauf damit beschäftigt, die widerspenstige weiße Tachonadel genau über einem Staubkörnchen zu fixieren, das auf der Drei von 130 haftete, als ihm auf einmal Miss Egthuysen – Laura – einfiel. Auch wenn er jetzt wirklich der Prototyp des bindungslosen Helden war, entfremdet von seinen Freunden, seiner Frau und der Familie (die letzten beiden Abendessen bei Hesh und Lola hatten in lauten Streitereien über seine Beziehung zu Depeyster Van Wart geendet), ja den Gefühlen selbst entfremdet, so hatte er doch immerhin Laura. Als Trostpflaster. So wie Meursault seine Marie gehabt hatte (»Kurz darauf fragte sie mich, ob ich sie liebe. Ich antwortete, das spiele keine Rolle; höchstwahrscheinlich aber nicht.«), so hatte Walter seine Laura. Und das war etwas wert. Besonders in Zeiten wie diesen.
    Er hätte hier anhalten können, um über den Aufruhr seiner Gefühle nachzudenken und sich zu fragen, warum er plötzlich so bitter und verzweifelt war, obwohl er doch vorgeblich einen Dreck darauf gab, was Jessica, Tom Crane, Mardi oder der Papst in Rom taten oder nicht taten. Aber er hielt nicht an. Die Bäume zischten an ihm vorbei, ein endloses Flirren in Grün, der Wind riß an seinem Haar, und in seinem fiebrigen Hirn stieg das Bild von Miss Egthuysen auf. Er sah sie auf der schwarzen Samtcouch in ihrem Wohnzimmer, nackt ausgestreckt, die Lippen zu einem spitzen Kuß vorgeschoben, die Hände auf den Busen gelegt, ihre Schamhaare so blond, daß sie schon beinahe weiß

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