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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ein schickes Hemd, einen hellbeigen Sommeranzug und einen gemusterten Schlips. Er sah gut aus, braungebrannt, stand groß und gerade auf seinen gefühllosen Füßen, als hätte er niemals die rohe Gewalt eines Chirurgenmessers verspürt. »Tom Crane«, sagte er schließlich und lächelte noch breiter, so daß die kräftigen weißen Zähne zu sehen waren, »verdammt noch mal, wie geht’s dir so? Wohnst du immer noch in der Hütte draußen?«
    Tom ging es gut. Und ja, er wohnte immer noch in der Hütte. Und obwohl man es ihm nicht ansah – und er sich auch nicht so fühlte –, freute er sich, Walter wiederzusehen. Jedenfalls hörte er sich so etwas sagen, die Worte purzelten aus seinem Mund, als wäre er eine grinsende kleine Holzpuppe und jemand anders besorgte das Reden: »Schön, dich mal wiederzusehen.«
    »Find ich auch«, sagte Walter. »Ist ja ziemlich lange her.«
    Die beiden sinnierten einen Augenblick über die Gewichtigkeit dieser Bemerkung, während andere Supermarktkunden seltsam stumm an ihnen vorüberglitten, wie an ihren Einkaufswagen befestigt. Tom bückte sich nach der zerquetschten Orange und legte sie gerade verstohlen zurück auf den Stand, als Walter ihm die Frage stellte, die er befürchtet hatte: »Hast du Jessica mal gesehen in letzter Zeit?«
    Wenn nun die obenerwähnte Geliebte, die eine so große Rolle in der Verwandlung von Tom Cranes Leben spielte, auch bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht direkt genannt wurde, so dürfte ihre Identität doch kaum überraschen. Die Geliebte war natürlich Jessica. Wen sonst hatte der Heilige insgeheim sein ganzes jämmerliches Leben über – oder jedenfalls viele Jahre lang – angebetet? Wen sonst hatte er zu heiraten geträumt, bis Walter ihr den Ring an den Finger steckte und der Himmel über der Hütte so dunkel und stürmisch wurde wie die ungestümen Gefühle in seiner Seele? Wer sonst hatte im Kino immer zwischen ihm und Walter gesessen, wo er danach gelechzt hatte, ihre Hand zu halten, sie auf den Hals zu küssen, ihr ins Ohr zu tuscheln? Konnte er überhaupt zählen, wie oft er gebannt vor Lust zugesehen hatte, wie sie in einer Boutique Kleider anprobiert, an einer Doppelportion Schokoladen-Erdbeer-Softeis mit Karamelstücken geleckt oder ihm mit ihrer sanften, zaghaften Kleinmädchenstimme laut aus Franny und Zooey oder Gammler, Zen und hohe Berge vorgelesen hatte? Oder wie oft er sich vorgestellt hatte, ihr süßer, schlanker, blondbebuschter Körper läge neben ihm auf seinem muffigen Eremitenbett ausgestreckt?
    Jessica. Ja, Jessica.
    Verletzt, verwirrt, außer Fassung und von plötzlichen Schnief- und Schneuzanfällen heimgesucht, mit zitternden Knien und schwer deprimiert war sie zu ihm gekommen, zu ihrem alten platonischen Freund, um Trost zu suchen. Und er hatte sie allmählich erobert, mit gebratenen Okraschoten und Naturreis zu geriebenen Karotten und Pinienkernen, in friedlichen Winternächten, an lauen Frühjahrsmorgen und erholsamen, nie enden wollenden Mittsommerabenden in seiner Hütte, mit den Vögeln, den Glühwürmchen, beim Quaken liebeskranker Kröten, in der zeitlosen Ruhe, die sich abseits von Straßenlaternen und Asphaltfahrbahnen ausbreitete. Wie sollte er es beschreiben? Eins hatte zum anderen geführt. Die Liebe war erblüht.
    Walter war verrückt. Walter war verkrüppelt. Walter war voller Mißmut, Zorn und Selbstzerstörung. In seiner Wonne, in seinem eifersüchtig gehüteten Glück hatte der Heilige der Wälder seinen alten Freund und Weggefährten vergessen. Walter war zur anderen Seite übergewechselt – arbeitete jetzt mit dem Faschisten Van Wart zusammen , nicht bloß für ihn –, und schließlich hatte er sie ja verstoßen, keine Frage. Hatte sie gedemütigt, beiseite geworfen wie ein Stück Dreck. Nein, Tom Crane empfand keinerlei Schuldgefühle, nicht im geringsten. Warum auch? Trotzdem, während er reichlich durcheinander vor Walter stand und dessen kurzgeschnittenes Haar mit dem messerscharfen Scheitel und den kurzen Koteletten betrachtete, mußte er ständig an Jessica denken, wie sie gerade im Waschsalon nebenan die Maschinen mit Unterwäsche, Bettzeug und vor Schmutz starrenden Jeans vollstopfte – beziehungsweise daran, daß sie ihn jeden Moment hier treffen sollte.
    »J-Jessica?« stammelte er als Antwort auf Walters Frage. »Ja. Nein. Ich meine, diesen Job bei Con Ed mach ich nicht mehr, hab ich dir das nicht erzählt?«
    Walters Lächeln verschwand. Ein Rest davon blieb in seinen Augen zurück, doch

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