World's End
einen Kummer mit sich herumtrug wie jenen verborgenen Umschlag voll Staub. Dieser Kummer äußerte sich durch ein Ziehen in den Lenden, einen zuckenden Schmerz im Herzen – daran zu denken, hieße an Untergang denken, an das düstere, gleichgültige Universum, an die Nichtigkeit des menschlichen Seins und Strebens: er war der letzte der Van Warts.
Seit dreiundzwanzig Jahren mit einer Frau verheiratet, die ihm ein Kind – eine Tochter – geboren, seither aber ihre sexuellen Energien auf Einkaufsbummel, Gesichtspackungen, ethnische Kochkunst und Hilfsmaßnahmen für Indianer richtete, hatte er alles Erdenkliche versucht, einen rechtmäßigen Erben mit ihr zu zeugen. In der Anfangszeit, als sie noch ein normales Eheleben führten, probierte er es mit Einreibungen, mit Lotionen und übelriechenden Mixturen, die er von diskret beiseite blickenden Händlern in Chinatown erstanden hatte. Er legte Kostüme an, las seiner Frau schlüpfrige Passagen aus Lolita, Die Unersättlichen und dem Alten Testament vor, konsultierte Therapeuten, Eheberater, Ärzte, Techniker, Quacksalber und Pferdezüchter, doch vergeblich. Nicht nur wurde Joanna nicht neuerlich schwanger, sie begann zudem, ihm zur Schlafenszeit, am Morgen, zum Mittagessen und in unmittelbarer Nähe eines der sechs Badezimmer aus dem Weg zu gehen. Er setze sie zu sehr unter Druck, sagte sie. Sex sei zur Obliegenheit, zur Pflicht geworden, abwechselnd etwas Klinisches und Perverses, so als ginge man an einem Tag ins Labor und am nächsten in die Hütte eines Hexenmeisters. Was glaube er denn, wer sie sei, eine preisgekrönte Zuchthündin oder was? Wenig später entdeckte sie ihre Liebe zu den Indianern.
Ein anderer hätte vielleicht die Scheidung eingereicht, nicht aber Depeyster. Kein Van Wart hatte sich je scheiden lassen, und er hatte nicht vor, einen Präzedenzfall zu schaffen. Auf seine Weise liebte er sie ja. Mit ihren großen Augen, ihrem zarten Knochenbau und ihrer Haltung – wie ein Geschenk auf dem Präsentierteller – war sie eine bemerkenswerte Frau, und manchmal begehrte er sie noch ebenso stark wie damals. Manchmal allerdings, wenn er seine Gedanken schweifen ließ, stellte er sich vor, wie sie bei einem Autounfall tödlich verunglückte oder einem bösartigen Virus zum Opfer fiel. Es gäbe ein Begräbnis. Er würde trauern. Eine schwarze Armbinde tragen. Und dann würde er losziehen und sich eine fruchtbare junge Kunstreiterin oder Akrobatin mit kräftigen Schenkeln suchen. Oder eines dieser barfüßigen, geistesabwesenden Collegemädchen ohne BH, die im Gefolge seiner Tochter in seinem Haus aus und ein gingen. Fruchtbaren Boden. Genau den brauchte er. Und kam einmal die Zeit, wenn er selbst nicht mehr leistungsfähig war, wenn der Mechanismus nicht mehr so wollte, wie er sollte, dann gab es immer noch den Tiefkühlsafe der Firma Trilby, Inc., wo ein Dutzend Päckchen seines Spermas in ewiger Bereitschaft aufbewahrt wurde.
Depeyster seufzte und nahm noch eine Prise Dreck. Zum Golfspielen war es zu heiß – schon fünfunddreißig Grad, die Luftfeuchtigkeit erreichte bald die Sättigungsgrenze –, und allein der Gedanke daran, die Catherine Depeyster aufzutakeln, ließ ihn vor Erschöpfung zusammensinken. Er sah auf die Uhr: 13.15. Noch zu früh zum Nachhausegehen, andererseits ... wem wollte er etwas vormachen? Jeder einzelne Arbeiter im Werk, bis hin zu dem pickligen fetten Mädchen, das sie vor zwei Tagen in der Packerei eingestellt hatten, wußte genau, daß er ein Schwingzeug nicht von einem Krümpler unterscheiden konnte – und sich auch einen Dreck darum scherte. Also zum Teufel mit ihnen. Am besten wäre es, überlegte er, stand auf und strich über den Umschlag in seiner Brusttasche, nach Hause zu gehen, um eine Kleinigkeit zu essen, einen Eistee zu trinken, in der Mittagsausgabe des Peterskill Post Dispatch Herald Star Reporter zu blättern, ein Schläfchen zu halten und dann später, wenn es etwas kühler wäre, am Crane-Grundstück vorbeizufahren und davon zu träumen, daß der alte Crane es ihm verkauft hatte.
Zu Hause, in der Küche, beim Aufschneiden einer Tomate auf der Mahagonianrichte, die Pierre Van Wart 1778 vom Marquis de Lafayette als Ausdruck von dessen tiefempfundener Dankbarkeit für die sechswöchige Pflege nach einer Krankheit verehrt bekommen hatte, warf Depeyster einen Blick auf die Schlagzeilen der Zeitung, die immer noch zusammengefaltet neben ihm lag. SITZUNG DER SCHULKOMMISSION, LAS ER. MURIEL MOTT VON
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