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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Er streute eine zweite magische Prise Kellerstaub darüber und blickte im selben Moment auf, als seine Tochter Mardi in den Raum geschlendert kam.
    Falls sie etwas gesehen hatte, ließ sie es sich nicht anmerken – schlurfte in ihrem schmutzigen Morgenmantel zum Kühlschrank hinüber, um ihre Augen war noch wie Clownschminke das Make-up vom Vorabend verschmiert. Sie sah verhärmt aus, wie eine Harpyie, eine Rauschgiftsüchtige, eine Säuferin. Er nahm an, daß sie die ganze Nacht durchgemacht hatte. Es drängte ihn, irgend etwas zu sagen, etwas Scharfes und Verletzendes, etwas Kritisches, Bitteres. Doch er wurde weich, denn er erinnerte sich an das kleine Mädchen, und dann, als sie sich bückte, um in die grell erleuchteten Tiefen des Kühlschranks zu spähen, staunte er über dieses Wesen mit den nackten Füßen und den dunklen krausen Hippiesträhnen, über dieses verwirrende erwachsene Mädchen, diese Frau, die einzige Frucht seiner Lenden.
    »Morgen«, sagte er schließlich, etwas ironisch.
    »Wo is’n der Orangensaft?«
    Er überlegte einen Augenblick, nahm einen geziemenden Bissen von seinem Sandwich und tupfte sich die Lippen mit einer Papierserviette ab. Einen Moment lang fing er den gewieften Blick und das etwas nachdenkliche Lächeln von General Philip Van Wart (1749–1831) auf, dessen von Ezra Ames gemaltes Porträt seit seinem Tode neben dem Küchenfenster hing. »Wie wär’s mit dem Eisfach?«
    Ohne Kommentar riß Mardi die Klappe des Tiefkühlfachs auf. Während er zusah, wie sie die knallgelbe Dose herausnahm und sich mit dem elektrischen Öffner abmühte, überkam ihn plötzlich das Verlangen, sie zu schütteln, sie so lange zu schütteln, bis sie aufwachte, sich das Haar schnitt, ihre Miniröcke und Netzstrümpfe in den Mülleimer stopfte, wo sie hingehörten, und wieder in die menschliche Gemeinschaft zurückkehrte. Soweit er wußte, bestand ihre einzige Beschäftigung darin, mit einer Horde von Typen herumzuhängen, die aussahen, als wären sie gerade aus einer Höhle in Neuguinea hervorgekrochen, beim Abendessen für die sexuelle Befreiung und die Unabhängigkeit der unterdrückten Völker Asiens einzutreten und bis mittags zu schlafen. Sie hatte im Juni das Bard College abgeschlossen, und das einzige, was seitdem mit etwaigen Berufsabsichten hätte zu tun haben können, war eine flüchtige Bemerkung über irgendeine Bar in Peterskill gewesen: im Herbst, wenn Soundso nach Mauï fahren würde, könnte sie vielleicht einen Job kriegen, zwei Nächte pro Woche an der Theke zapfen. Alles noch nicht fix, natürlich.
    Schüttle sie! brüllte eine Stimme in seinem Kopf. Schüttle ihr die Pisse aus dem Leib!
    »Hast du Mom gesehen?« murmelte sie und ließ den englischen Dekorsteingutkrug überlaufen. Die blaßgelbe Flüssigkeit tropfte aus dem Krug auf die Anrichte, von der Anrichte auf den Fußboden: plitsch-plitsch-plitsch.
    »Was?« fragte er, obwohl er sie genau verstanden hatte.
    »Mom.«
    »Was ist mit ihr?«
    »Hast du sie gesehen?«
    Natürlich hatte er sie gesehen. Bei Tagesanbruch. Als sie den Kombi auf der Auffahrt zurückgesetzt hatte, um ihre Fahrt hinauf nach Jamestown in die Indianerreservation zu machen. Der Wagen war so überladen gewesen mit alten Hemden, Lumpen, zerbeulten Hüten und altmodischen Schuhen in absurden Größen, daß er gefährliche Schlagseite gehabt hatte, wie ein Frachter unter der Flagge einer Bananenrepublik, der mit einer Ladung Kugellager in den Hafen einlief. Joanna hatte ihm, mit Lockenwicklern in den Haaren, steif und humorlos zugewinkt und nur kurz bemerkt, sie würde erst am nächsten Tag zurückkommen, wie üblich. Er hatte matt zurückgewinkt. Jeder Beobachter dieser stillen Szene im Vogelgezwitscher der Dämmerung – er stand im Morgenmantel seines Großvaters aus Djakartaseide da und sah ihr nach, wie sie verbissen, ausdruckslos und ungeschminkt mit ihrem Haufen Müll davonfuhr – hätte meinen können, er habe soeben das Dienstmädchen gefeuert oder einen ruchlosen Handel mit der Heilsarmee abgeschlossen. Er blickte zu seiner Tochter auf. »Nein«, sagte er. »Ich habe sie nicht gesehen.«
    Diese Auskunft schien Mardi nicht viel auszumachen. Sie leerte ein Glas Saft, goß sich ein zweites ein und schlurfte an den Tisch, wo sie sich auf einen Stuhl fallen ließ, das Glas mit eiserner Hand umklammert, und herrisch nach der Zeitung griff. »Verdammt«, murmelte sie, »ich fühl mich total beschissen.« So kommunikativ war sie seit langem nicht

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