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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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und er sah, wie sie sich bemühte, diese Vorstellung in ihr Weltbild einzupassen, wie sie versuchte, sich ihren wilden Eingeborenen-Liebhaber im geruhsamen Leben ihres Peterskill vorzustellen, neben ihrem Mann, ihrer Tochter, neben der mächtigen Galeone von Gutshaus, die in einer ununterbrochenen Folge makelloser Tage auf dem Ozean makelloser Rasenflächen dahintrieb. Dann zuckte sie die Achseln. Reckte sich zu ihm hinauf und küßte ihn. »Soll mir recht sein«, sagte sie. »Dann kann ich dich öfter treffen.«
    Also packte er seine Sachen – Unterwäsche, Socken, Mokassins, die einfachen Kleidungsstücke, die er aus Tierhäuten gefertigt hatte und nur auf Stammesboden trug, Ruttenburrs Buch über die Hudson-Indianer, das Jagdmesser –, während Ein-Vogel ihm ihre Meinung über diese Wohltäterfrau mit den Glasaugen vortrug. Dann stieg er zu Joanna in den Kombiwagen und fuhr bequem über die Flüsse und Berge, die er zum erstenmal vor so vielen Jahren zu Fuß überquert hatte. Durch das Fenster sah er den Alleghenny, den Cohocton und den Susquehanna, die dichtbewaldeten Kuppen der Catskill Mountains, die jähen dunklen Schluchten des Hudson River. Endlich kamen sie über die Bear Mountain Bridge, vorbei an den ersten Häusern von Peterskill; sie fuhren auf der Van Wart Road ostwärts, und er fühlte sich wie Hannibal vor den Toren Roms, wie ein siegreicher Kriegsheld, wie ein Mann, der niemals wieder eine Niederlage erleben würde.
    Joanna fuhr direkt unter dem großen Haus auf dem Hügel vorbei, vorbei an der historischen Gedenktafel, auf der sein Name stand – Jeremy Mohonk, der Kummervolle, vor urdenklichen Zeiten zur Strafe für seine Vergehen gegen den patroon niedergemetzelt –, und hielt dann am Straßenrand an, neben dem Pfad, der auf die Weide hinabführte. »Bis später«, sagte er, huschte wie ein Schemen in die dichten Baumreihen hinein und war unsichtbar, sobald er sich von ihr abgewandt hatte.
    Sie besuchte ihn in seiner trostlosen Hütte, sie brachte ihm Essen, Bücher, Zeitschriften, sie brachte ihm warme Decken, Petroleum für die Lampe, Kochtöpfe, Geschirr, Servietten aus feinem Leinen mit dem Monogramm der Van Warts. Das Leben sah plötzlich rosig aus, und er genoß es wie ein von den Toten Auferstandener. Er ging jagen und Fallen stellen, er besuchte Peletiah Crane und dessen schlaksigen Enkel, an kalten Tagen saß er vor dem Ofen und blätterte in einem Buch. Und er wartete auf Joanna, geduldig wie ein Mogul.
    Ein Jahr verging, und noch ein weiteres. Im Frühling des dritten Jahres jedoch wurde alles anders. Während der Winter zurückwich und in den Bäumen der Saft zu fließen begann, während er hypnotisiert dem Unken der Kröten lauschte oder den Tanz der Eintagsfliegen über dem Wasser des Baches beobachtete, überkam ihn wieder die alte Sehnsucht, jene Sehnsucht, die niemals gestillt worden war. Was tat er denn? Was glaubte er denn? Schön, Joanna Van Wart war eine gutaussehende Frau, doch er war der Letzte der Kitchawanken und sie der Inbegriff von allem, was er verabscheute.
    »Wirf es weg!« sagte er zu ihr, als sie an diesem Nachmittag durch die Tür seiner Hütte kam, wunderschön in Shorts und ärmellosem Oberteil, ihr Haar in allen Farben des Herbstlaubes schimmernd.
    »Was soll ich wegwerfen?«
    »Dein Diaphragma«, erklärte er. »Die Pille. Oder was immer es ist, was zwischen uns steht.«
    »Du meinst –?«
    »Genau«, sagte er.
    Er wollte einen Sohn. Nicht den Sohn, den Ein-Vogel ihm nie hatte geben können, auch nicht die zahllosen Söhne, die er in dem finsteren Verlies von Sing-Sing in seine Hand verspritzt hatte – das war unmöglich. Er wollte sich mit einer anderen Sorte Sohn zufriedengeben, mit einem Sohn, der weniger von den Kitchawanken und mehr vom Stamm der Wölfe hatte. Dieser Sohn würde kein Segen sein, kein Garant für Gnade und Erlösung.
    Dieser Sohn würde seine Rache sein.
    Anfangs wollte sie seinetwegen Depeyster verlassen, soviel empfand sie für ihn. Das wollte sie wirklich. Jeremy war für sie eine Art Gott. Wenn er mit ihr schlief, war es brutal und zärtlich zugleich, es war, als wäre die Erde selbst Fleisch geworden und dränge in sie ein, als wäre Zeus – oder nein, eine dunkle indianische Gottheit, irgendein düsterer Sohn Manitous – von seinem Berggipfel herabgestiegen, um sich eine sterbliche Frau zu nehmen. Er war knapp zwanzig Jahre älter als sie, und sein Leben war Legende. Er war ihr Lehrer, ihr Vater, ihr Geliebter. Er war ihr ein

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