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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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und alles. Sie wollte ihn in sich spüren. Sie wollte ihn feiern und verehren, wollte eng an ihn geschmiegt liegen und zuhören, wie seine rauhe Stimme zum Pulsschlag ihres Herzens wurde, wenn er in alten Erinnerungen schwelgte, als ließe er Juwelen durch seine Finger gleiten.
    War sie besessen? Vernarrt? Wirklichkeitsfremd? War sie eine sexhungrige, mit Perlenketten behängte Wohltätigkeits-Vereinsmeierin, die ihrer Jugend nachlief und feucht zwischen den Beinen wurde, sobald sie nur an ihn dachte, die nur rammeln wollte wie ein Tier, wie eine Squaw, wie eine Indianerprinzessin mit unstillbarer Lust?
    O ja. Allerdings.
    Neben einem Mann ohne Leidenschaften und einer Tochter mit leerem Blick saß sie am Eßtisch, während sich eine Schwarze über das Delfter Familienporzellan beugte und Kalbsmedaillons oder Hummer servierte, und sie wollte sich anfassen, wollte vom Tisch aufspringen und in die Wälder laufen, jaulend wie eine läufige Hündin. Lady Chatterley? Die war eine Klosterschwester im Vergleich zu Joanna Van Wart.
    Natürlich hat jedes Ding seine Zeit, und alles ist einmal zu Ende.
    Im nachhinein wurde ihr klar, daß der Anfang vom Ende so deutlich zu erkennen gewesen war wie ein neues Kapitel in einem Buch. Es begann an jenem Frühlingsnachmittag vor zweieinhalb Jahren, kurz bevor er seine Hütte für immer verließ, an dem Nachmittag, als er ihr sagte, sie solle das Diaphragma wegwerfen und ihm ein Kind gebären. Gut, so ist das Leben, dachte sie. So ist die Natur. Und so sollte es eben sein.
    Nur wurde er von da an seltsam zu ihr. Sie kamen zusammen, Fleisch zu Fleisch, von einem gemeinsamen Ziel und der Hoffnung auf Erfüllung belebt, noch einmal voller Ekstase, und es dauerte eine Woche. Höchstens. Dann war er plötzlich verschwunden. Sie kam eines Morgens früh zur Hütte, um ihn zu überraschen, aber er war nicht da. Sicher ist er angeln, dachte sie, oder er geht seine Fallen ab und hat vergessen, wie spät es ist, also machte sie es sich zum Warten gemütlich. Es wurde eine lange Wartezeit. Denn er war zurück nach Jamestown gegangen, zurück zu Ein-Vogel.
    Nach einer Woche – einer endlosen, ewigen Woche, in der sie weder schlief noch aß und seine Hütte heimsuchte wie eins der unversöhnlichen Gespenster, die angeblich in ihren niemals enden wollenden Qualen an diesem Ort spukten – lud sie achtzehn Kartons voller Topflappen mit Mondgesicht-Motiv in ihren Kombi und machte sich auf die Suche nach ihm. Sie fand ihn mit nacktem Oberkörper auf der Veranda von Alice Ein-Vogel sitzen; vom Hals hing ihm eine Kette aus polierten Knochen, die schreckliche Last seiner Erfahrungen spiegelte sich im Reigen seiner Narben, in den phlegmatisch herabhängenden Schultern, im starren Reptilienblick. Er nahm Fische aus, und seine Hände glänzten vor Blut. In diesem Moment wirkte er so barbarisch wie alle seine barbarischen Ahnen. Nicht weniger barbarisch wirkte Ein-Vogel, die mit ihren ganzen einhundertfünfzehn Kilos zornig funkelnd an seiner Seite saß.
    Joanna ließ sich nicht beeindrucken. Sie bremste den Kombi direkt vor dem Haus, riß die Tür auf und marschierte den Weg hinauf wie ein Racheengel. Sie trug die Leggings, die Fransenjacke und ein Hemd aus ungegerbtem Leder; ihre Haut hatte sie so lange mit Blutwurz gefärbt, bis sie den Ton einer aus der Gosse gefischten Kupfermünze angenommen hatte. Ein halbes Dutzend langer Schritte, dann war sie über ihm, bohrte ihre Nägel wie Krallen in seinen Bizeps und zerrte ihn die Stufen hinunter um die Hausecke, ohne auf das pausenlose Gekeife von Ein-Vogels Flüchen und Verwünschungen zu achten. Hinter dem Haus, hinter der tief durchhängenden Wäscheleine, auf der ein paar Bettlaken sowie Ein-Vogels eindrucksvolle Unterhosen sanft im Wind schaukelten, ging sie mit ihrer scharfen Zunge auf ihn los. Sie begann mit der markerschütternden Philippika, die sie während der einsamen Fahrt einstudiert hatte, und endete mit einer rhetorischen Frage, die sie in einem so gellenden Schrei stellte, daß sie damit Adler von ihrer Beute hätte vertreiben können: »Kannst du mir vielleicht mal erklären, was du hier machst? Häh?«
    Er war doppelt so groß wie sie, und er sah durch die grünen Schlitze seiner Augen auf sie herab. »Barsche ausnehmen«, sagte er.
    Sie verharrte eine Minute lang, wippte auf den Ballen hin und her, dann holte sie weit aus und ohrfeigte ihn. Heftig. So heftig, daß ihr davon die Fingerspitzen taub wurden.
    Ebenso unerwartet und doppelt so

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