World's End
sich schon hundertmal den Kopf gestoßen hatte.
Er erwiderte ihren Gruß nicht. Und als sie Anstalten machte, sich zu ihm auf die Koje zu quetschen – in unbeholfener gebückter Haltung, das Baby zog sie schwer nach vorne –, machte er ihr keinen Platz. Sie spürte das Schlingern des Schiffes und ließ sich auf den Rand der zweiten Koje niedersinken, in dem engen Raum etwa einen Meter von ihm entfernt. Lange Zeit saß sie so da, strahlte ihn mit schimmernden Augen an, genoß seinen Anblick in vollen Zügen, und dann, als sie glaubte, ihn so sehr zu begehren, daß sie es keine Sekunde länger aushalten könnte, brach sie das Schweigen mit einer leisen, freundlichen Frage: »Gutes Buch?«
Er antwortete nicht. Knurrte nicht einmal.
Wieder verstrich eine Weile. Die Luft, die über das Fallreep hereinwehte, war kühl und salzig, roch nach einer Mixtur von allem, was durch die Adern des Flusses strömte – Fisch natürlich und Tang. Aber auch andere Dinge, weniger angenehme. Und weniger natürliche. Wer hatte ihr erzählt, daß flußaufwärts Abwässer in den Fluß geleitet wurden? Sie spähte durch das schmutzige Bullauge hinter Jeremy und stellte sich vor, wie auf der grauen Brühe dort draußen menschliche Exkremente, Toilettenpapier und Damenbinden schwappten, und mit einem Mal war sie deprimiert. »Jeremy«, sagte sie abrupt, und die Worte entschlüpften ihrem Mund, ehe sie es verhindern konnte. »Ich werde Depeyster verlassen.«
Zum erstenmal sah er sie an. Die verhangenen Augen, die sie so gut kannte, sahen nicht mehr ins Buch, sondern fixierten sie als schmale grüne Schlitze.
»Mir ist es egal, was er denkt, oder was meine Eltern denken oder die Nachbarn oder sonstwer. Selbst wenn er sich nicht von mir scheiden läßt. Ich meine, daß ich mit dir zusammensein möchte –« sie streckte die Hand aus, um seine zu drücken, »– für immer.« Jetzt war es gesagt, jetzt war es ausgesprochen und nicht mehr zu widerrufen.
Dieses Thema hatte er immer vermieden. Sorgsam. Beharrlich. Beinahe ängstlich, kam ihr vor. Ja, so versicherte er ihr, er wolle von ihr ein Kind. Ja, er wolle eine Zeitlang hier draußen auf dem Fluß leben, ein wenig angeln und Krebse fangen, mit Gelegenheitsjobs im Yachthafen das bißchen verdienen, was er zum Leben brauchte – gelegentlich einen Dollar für Secondhandtaschenbücher, ein paar Eier und ab und zu eine Limo. Und ja, er liebte sie (obwohl diese Frage im Grunde keine Rolle spielte, oder?). Aber sie war die Frau eines anderen Mannes, und eigentlich war doch alles gut, so wie es war. Außerdem konnte er die Zukunft überhaupt nicht einschätzen. Einstweilen jedenfalls nicht, jetzt noch nicht.
Doch jetzt war es ausgesprochen und nicht mehr zu widerrufen: sie wollte Depeyster seinetwegen verlassen. »Ich könnte hier auf dem Segelboot mit dir leben«, fuhr sie fort, starrte auf den Boden und ließ die Worte heraussprudeln, »und wir könnten stromaufwärts fahren und in Manitou oder Garrison oder Cold Spring anlegen. Oder vielleicht irgendwo am anderen Ufer – bei Highland Falls oder Middle Hope. Ich habe etwas Geld, eigenes Geld, ein Treuhandkonto, das mein Vater für mich eingerichtet hat, als ich noch ein Kind war, und ich habe es nie angerührt, weißt du, weil ich dachte, daß ich vielleicht eines Tages ...« Aber sie konnte nicht weitersprechen, weil sie, blitzartig und unbewußt, einen Blick auf sein Gesicht geworfen hatte.
Der Ausdruck darin war schrecklich. Nicht mehr die Miene des Stoikers, der für das Porträt auf der Rückseite der Fünf-Cent-Münze hätte posieren können, nicht die des seltsamen Charismatikers, der sie über die Schwelle des hellen kleinen Zimmers im Hiawatha Motel geführt hatte, der ihr beigebracht hatte, durch die Wälder zu gleiten wie der Geist eines Rehs – jetzt war es die Miene des Brandschatzers, des Rächers, das Gesicht unter dem erhobenen Tomahawk. Er setzte sich auf. Stieß sich kraftvoll von der Koje hoch und stand jetzt gebückt über ihr; sein Rücken, die Schultern und der Nacken verschmolzen mit den niedrigen dunklen Deckenbalken. »Ich will dich nicht«, sagte er. »Und deinen Bastard von Halbblut oder Viertelblut will ich auch nicht.«
Sein Gesicht war nur Zentimeter von ihrem entfernt. Sie roch den Fisch in seinem Atem, den getrockneten Schweiß in den Achseln seines Hemdes. »Du hast mich vernichtet. Hast dich meiner bemächtigt. Du Wölfin. Du Wohltäter-Lady.« Er spitzte die Lippen, beinahe als wollte er sie küssen,
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