Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
und hielt sie mit seinem grimmigen, schonungslosen Blick fest. »Ich spucke auf dich.«
    Am nächsten Morgen war die Kitchawank nicht mehr da.
    Depeysters Stimme – »Joanna! Joanna, machst du bitte auf?« – erreichte sie aus einer anderen Dimension, als fristete sie ihr Dasein am kalten Grund des Flusses und als drängen seine Worte durch die Strömung zu ihr herunter. »Joanna!«
    Es hatte geklingelt. An der Tür standen Kinder – sie konnte sie durchs Fenster sehen –, verkleidet als Hexen, Gespenster, Kobolde, indianische Krieger, Indianerprinzessinnen. Ein leuchtender Halloween-Kürbis grinste ihr von der Tür entgegen, neben der ihr Mann, der diesen alten Brauch genoß, als wäre er selbst noch ein Kind, eine Schale mit kandiertem Popcorn und Schokoladenriegeln bereitgestellt hatte. Benommen erhob sie sich aus dem Sessel, kämpfte gegen die Strömung an und öffnete mühevoll die Tür. Die Kinderstimmen kreischten los, brachen über sie herein, und die häßlichen kleinen Pfoten grabschten nach dem Inhalt der Schale, die sie irgendwo vom Tisch genommen und sich gegen den geschwollenen Leib gedrückt hatte. Dann waren sie weg, und sie kämpfte sich wieder stromaufwärts, um mit letzter Kraft in den wartenden Sessel zu sinken.
    »Joanna? Liebling?«
    Sie drehte sich in die Richtung seiner Stimme, und da stand er in Seidenstrümpfen und Kniebundhosen, in einem weit ausgestellten Mantel mit riesigen, funkelnden Messingknöpfen, in Schnallenschuhen und mit einem Spitzhut auf dem Kopf. »Wie sehe ich aus?« fragte er, während er sich vor dem Spiegel über dem Kaminsims die Hutkrempe zurechtrückte.
    Wie er aussah? Er sah aus wie jemand, der gerade einem Gruppenporträt von Rembrandt entsprungen war, wie ein Siedler, ein Pionier, wie der patroon , der das ganze Land hier den Indianern abgefeilscht hatte. Bis ins kleinste Detail sah er genauso aus wie jedes Jahr, wenn er auf LeClerc Outhouses Halloween-Party ging. Ein einziges Mal, vor langer Zeit, als er noch jung und unternehmungslustig gewesen war, hatte er sich als Pieter Stuyvesant verkleidet, mit Holzbein und allem, aber seither war er jedesmal als Gutsherr gegangen. Wozu etwas Perfektes noch verbessern wollen? hatte er sie gefragt. »Du siehst gut aus«, sagte sie. Die Worte quollen ihr aus dem Mund, als wären sie von diesen kleinen Blasen umschlossen, wie man sie in Comic-Heften sah.
    Sie wandte sich ab, sank bereits wieder in die Tiefe zurück, als er sie überraschte. Sie aufweckte. Das Zimmer durchquerte und sie langsam wiederbelebte, sie Faden um Faden aus der Tiefe hochzog. Es begann mit dem resonanten Knall eines Korkens und dem Gefühl eines langstieligen Glases in ihrer Hand. »Trinken wir auf etwas«, schlug er vor, und da stand er direkt neben ihr, sie hörte seine Stimme so klar, als wäre es doch nichts weiter als Luft, was zwischen ihnen lag.
    Sie blickte zu ihm auf, benommen, steif wie ein Leichnam, das ganze Gewicht der vielen Tonnen von Wasser lastete auf ihr, und mit letzter Anstrengung hob sie ihr Glas. »Trinken wir auf etwas«, wiederholte sie.
    Er strahlte, leckte sich grinsend die Lippen und schielte vor reiner, ungetrübter Freude, dann bückte er sich, ergriff ihre freie Hand und hielt sie fest, bis er ihre volle, ungeteilte Aufmerksamkeit hatte. Mit tiefer Stimme parodierte er den sonoren, salbungsvollen Tonfall von Wendell Abercrombie, dem Pfarrer in der Episkopalkirche. »Auf die Seele von Peletiah Crane«, sagte er und hob sein Glas in die Höhe wie einen geweihten Kelch.
    So tief war sie abgetaucht, daß es eine Weile dauerte, bis sie begriff. »Du meinst, er ist... er ist tot?«
    »Ja, ja, ja!« jubelte er, und sie glaubte, er würde gleich Freudentänze aufführen oder wie ein junges Zicklein im Zimmer umherspringen. »Heute. Vor ein paar Stunden. Am frühen Abend.«
    Es passierte ganz unbewußt. Sie sah ihm ins Gesicht, auf sein Kostüm, sah auf das leere Glas in seiner Hand und spürte, wie sie zum Luftholen auftauchte. Über die Schicklichkeit der Szene – den plötzlichen Frohsinn bei der Nachricht vom Tod eines Mitmenschen – dachte sie nicht weiter nach, denn es geschah etwas mit ihrem Gesicht, etwas, das hier schon so lange nicht mehr geschehen war, daß es beinahe ein Novum war: sie lächelte. Auf einmal spiegelte sie die Freude und den Triumph in der Miene ihres Mannes wider, ihr Gesicht bekam Grübchen, die Augen begannen zu strahlen.
    »Marguerite hat es mir eben am Telefon erzählt«, fügte er hinzu, und

Weitere Kostenlose Bücher