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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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über den Fußboden, bis er so dicht neben Walter saß, als wollte er ihm eine Wunde verbinden. »So«, sagte er mit harter, kratziger, schleimbelegter Stimme, »jetzt hörst du dir mal meine Geschichte an.«

TRUMANS GESCHICHTE
    »Ganz egal, was sie dir erzählt haben, ich habe sie geliebt. Wirklich.«
    Der alte Mann trank die Tasse aus, schleuderte sie beiseite und hob die Flasche zum Mund. Diesmal bot er Walter nichts an. »Deine Mutter, meine ich«, sagte er, während er sich mit dem Ärmel den Mund abwischte. »Das war schon eine. Du wirst dich nicht so recht an sie erinnern, aber sie war so – wie soll man sagen? – ernsthaft, weißt du. Idealistisch. Sie hat tatsächlich diesen ganzen Bolschewistendreck geglaubt, sie dachte wirklich, Rußland wär das Arbeiterparadies und Joe Stalin ein riesig netter Bursche.« Es brannte nur eine einzige Lampe, mit Messingfuß und Papierschirm, auf dem Schreibtisch hinter ihm; im Schatten schienen seine Züge weicher. »Wie ein Dummchen vom Lande, weißt du? So was von Gutgläubigkeit hab ich nie wieder erlebt.«
    Walter saß wie angewurzelt da, die rauhe Stimme und die immerwährende Nacht hielten ihn gefangen wie ein Zauber oder ein Bann. Seine Mutter mit den seelenvollen Augen war hier, direkt vor ihm. Fast konnte er die Kartoffelpuffer riechen.
    »Aber du bist ja auch verheiratet, nicht? Wie hieß sie doch gleich?«
    »Jessica.« Der Name tat weh. Jessica und seine Mutter.
    »Genau«, sagte der Alte, seine Stimme rauh wie kollernde Kiesel, ruiniert vom Trinken und niemals endenden Nächten. »Na, dann weißt du ja, wie das ist, dann –«
    »Nein«, blaffte Walter, plötzlich streitlustig geworden. »Wie ist was ?«
    »Ich meine, wenn die erste Verliebtheit vorbei ist und so –«
    Walter unterbrach ihn zornig: »Du meinst, du hast sie beschissen. Von Anfang an. Du hast sie geheiratet, damit du sie kaputtmachen konntest.« Er versuchte aufzustehen, aber seine Beine waren eingeschlafen. »Klar erinnere ich mich an sie. Ich erinnere mich sogar noch als Tote an sie. Und ich erinnere mich an den Tag, als du sie verlassen hast – in dem Auto da draußen, stimmt’s? Das ist doch Depeyster Van Warts Auto, oder?«
    »Blödsinn, Walter. Blödsinn. Du erinnerst dich an das, was Hesh dir zum Erinnern eingetrichtert hat.« Die Stimme des Alten war gelassen – er widersprach nicht, er stellte fest. Der Schmerz in alledem, der Schmerz, der ihn dazu gebracht hatte, sich am Ende der Welt zu verbergen, stand hoch oben auf einem Regal, in einer kleinen, fest verschlossenen Flasche. Wie Riechsalz. »Guck mich bloß nicht so selbstgerecht an, du kleiner Scheißer – wenn du was über Schmerz erfahren willst, brauchst du mir nur zuzuhören. Ich hab’s getan. Ja. Ich bin ein Spitzel. Ein feiger Verräter. Ich hab meine Frau umgebracht, meine Freunde ans Messer geliefert. Stimmt alles, ich geb’s ja zu. Also halt hier keine Moralpredigt, du kleiner Dreckskerl. Hör mir einfach nur zu.«
    Der Alte war ziemlich hitzig geworden, und zum zweitenmal in ein paar Stunden sah er aus, als würde er gleich alles kurz und klein schlagen. Walter saß reglos da, so dicht neben seinem Vater, daß er den Gingestank in seinem Atem riechen konnte. »Falls du ein bißchen mehr wissen möchtest, meine ich. Und das willst du doch, oder? Sonst wärst du nicht den weiten Weg hierhergekommen.«
    Wie betäubt nickte Walter nur.
    »Okay«, sagte der Alte, »okay«, und er hatte seine Gelassenheit wiedergewonnen. Er trug Fellstiefel und einen riesigen Wollpullover mit einem Muster aus tanzenden Rentieren, und als er sich vorbeugte, der Bart und das Haar von Grau durchzogen, ähnelte er einer narbigen, verfolgten Figur aus einem alten Film von Ingmar Bergman, ein fahles Orakel des Nordens. »Ich fang von vorne an«, sagte er, »mit Depeyster.«
    Truman hatte ihn während des Krieges in England kennengelernt – sie waren beide bei der G2 gewesen, beim militärischen Abschirmdienst, und sie hatten sich sofort angefreundet, als sie herausfanden, daß sie beide aus der Gegend von Peterskill stammten. Depeyster war ein fixer Bursche gewesen, gutaussehend, kräftig – und außerdem ein guter Sportler. Beim Basketball jedenfalls. Mit ein paar anderen hatten sie hie und da eine Runde gedribbelt, wenn sie außer Dienst waren. Aber dann war Depeyster abkommandiert worden, und sie hatten sich aus den Augen verloren. Wichtig war jedenfalls, daß Truman Christina kennengelernt – und geheiratet – hatte, bevor er

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