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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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neue Tasse eingoß. »Noch einen Toddy?« Der Alte sah über die Schulter zurück, seine Stimme war wieder sanfter.
    Walter winkte ab und stand mühsam auf. »Also gut«, sagte er und dachte dabei, die Briefe, diese Briefe, er hat sich nicht mal die Mühe gemacht, sie zu öffnen , »ich weiß, daß ich dir scheißegal bin und daß du das hier möglichst schnell hinter dich bringen willst, deshalb erzähl ich dir jetzt mal, warum ich den ganzen Weg hierher an den Arsch der Welt gemacht habe, um dich zu besuchen. Ich werde dir alles erzählen, ich werde dir erzählen, wie es ist, wenn man seine Füße verliert – ja, alle beide –, und von Depeyster Van Wart werde ich dir auch erzählen.« Sein Herz hämmerte. Das war es also. Endlich. Der Schlußpunkt. »Und dann«, sagte er, »will ich ein paar Fragen beantwortet haben.«
    Truman zuckte die Achseln. Grinste. Hob seinen Toddy, wie um einen stummen Toast auszubringen, und leerte ihn auf einen Zug. Er nahm die Flasche Gin mit zu seinem Stuhl, setzte sich und goß seine Tasse voll, diesmal unverdünnt. Er hatte eine eigenartige Miene aufgesetzt – einfältig und kampflustig zugleich, der Blick des Klassenrüpels, der zum Schuldirektor zitiert wird. »Na, dann mal los«, sagte er und hob die Tasse, »erzähl’s mir.« Er nickte zur Tür hin, wies auf die Schwärze, die unendlich weite Tundra und das Eismeer dahinter. »Wir haben die ganze Nacht lang Zeit.«
    Walter erzählte. Wie besessen. Erzählte ihm, wie er mit zwölf einen ganzen Sommer lang auf ihn gewartet hatte, und den nächsten Sommer und den Sommer darauf. Erzählte ihm, wie verletzt er gewesen war, wie besudelt und ungeliebt, wie schuldig er sich gefühlt hatte. Und wie er darüber hinweggekommen war. Erzählte ihm, wie Hesh und Lola ihn großgezogen und aufs College geschickt hatten, wie er eine zärtliche, liebe Frau gefunden und sie geheiratet hatte. Und später, als die erste Flasche leer war und der Gin wie Salzsäure in seinen Adern brannte, erzählte er ihm von seinen Visionen, von dem Gift, das in ihm brodelte, und wie er Jessica seine Bitterkeit in den Leib gerannt und gegen das Phantom des Vaters angekämpft hatte, bis seine Füße zu Brei gequetscht waren. Er redete, und Truman hörte ihm zu, bis längst die Sonne untergegangen und das Vieh in den Stall getrieben hätte sein sollen. Aber es gab kein Vieh. Und die Sonne gab es auch nicht.
    Walter war verwirrt. Er blinzelte durch die Eisblumen am Fenster und sah hinaus in die schwarze Nacht. Seit einer halben Ewigkeit hatte er nichts gegessen, und der Alkohol tat allmählich seine Wirkung. Er sank schwer in den Sessel zurück und musterte seinen Vater. Truman hing nach vorne über, sein Kopf rollte auf der stützenden Hand leicht hin und her, seine Augen waren müde und gerötet. Da begriff Walter, daß es nur ein Sparringkampf war, sonst nichts, und daß bei all der Befriedigung, die es ihm bereitet hatte, Trumans Schandtaten aufzuzählen, dies nur die erste Runde war.
    »Dad?« fragte er, und das Wort fühlte sich fremdartig auf der Zunge an. »Bist du wach?«
    Der Alte fuhr hoch wie aus einem schlimmen Traum. »Häh?« machte er und tappte instinktiv nach der Flasche. Und dann: »Oh. Ach, du bist es.« Draußen blies der Wind stetig. Unvermindert, unbarmherzig, unversöhnlich. »Na gut«, sagte er und hob den Kopf. »Hast es schwer gehabt, ich geb’s ja zu. Aber was glaubst du, wie es mir ergangen ist?« Er lehnte sich vor, beugte die breiten Schultern, den massigen Schädel. »Was meinst du wohl«, flüsterte er. »Denkst du, ich lebe hier, weil es im Winter so toll ist, ein prima Ferienparadies, das Tahiti des Nordens oder so ein Dreck? Das ist meine Buße, Walter. Buße.«
    Er stand auf, streckte sich und schlurfte zum Schreibtisch, um eine neue Flasche darunter hervorzuangeln. Walter beobachtete, wie er mit einer geübten Drehung den Verschluß knacken ließ, sich eine volle Tasse eingoß und die Flasche einladend hochhielt. Eigentlich wollte Walter ablehnen, wollte die Hand über die Tasse legen wie im Café, aber er tat es nicht. Das hier war ein Marathon, ein Wettbewerb, der Titelkampf. Er hielt seine Tasse hin.
    »Wenn du müde wirst«, sagte Truman, »kannst du dich da drüben hinlegen, neben dem Ofen. Ich hab noch einen Schlafsack, und Kissen kannst du dir von der Couch nehmen.« Er setzte sich wieder, wölbte den Rücken gegen die harten Holzstäbe des Stuhls. Er nahm einen langen Schluck aus der Tasse und rutschte mit dem Stuhl

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