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World's End

World's End

Titel: World's End Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Dieses Grinsen kannte er. Eine ähnliche Miene setzte der Alte Hakenschnabel, wie sie ihn in der Schule nannten, immer auf, bevor er den Rohrstock von der Wand nahm und auf das Hinterteil eines Übeltäters niedersausen ließ. Breiter, mit mehr Zahnfleisch und um die Lippen etwas verkniffener als das Rohrstockgrinsen, war dieses hier für besondere Gelegenheiten des Triumphes reserviert, zum Beispiel wenn Dr. Crane die ganze Schule versammelte, um zu verkünden, daß sein eigener Sohn den Aufsatzwettbewerb zum Gedenken an die Gründung von Peterskill gewonnen hatte, oder wenn er für einen Monat die Sportstunden strich, weil Anthony Fagnoli die Duschkabine mit einer anatomischen Skizze entweiht hatte. Depeyster, der Dreizehnjährige, fühlte sich gedemütigt durch dieses Lächeln, und ihm war ganz danach, kurz auf eine Prise Dreck in den Keller zu verschwinden. Statt dessen starrte er auf das Schachbrett.
    Der Rektor schüttelte seinem Vater jovial die Hand und nahm dann Platz. »Mr. Van Wart«, sagte er, »Rombout«, dabei klopfte er mit wissender, besitzesstolzer Miene auf die schwarze Tasche in seinem Schoß, als enthielte sie den Stein der Weisen oder den ersten Entwurf von Roosevelts New-Deal-Ansprache, »ich bin gekommen, um ein Angebot für das Grundstück zu machen.«

DER FINGER
    Es war Februar, beißend kalt und grau. Walter, ein junger Mann mit zwei Füßen wie jeder andere auch, war noch im College, setzte sich mit einer Schüssel Weizenkeimbrei und einem Becher Pflaumenmusyoghurt an seinen Schreibtisch und versuchte, Heidegger zu begreifen. Sein Motorrad stand in der Garage hinter dem Studentenwohnheim, in dem er aß, schlief, schiß und über Fragen grübelte, die auf das menschliche Schicksal in einem indifferenten Universum zielten, es stand dort verlassen in einem Durcheinander von dreibeinigen Tischen, zerrupften Lehnsesseln und Lampen mit nicht dazu passenden Schirmen. Er würde es in der nächsten Zeit nicht brauchen. Draußen hatte es dreißig Grad unter Null, er war dreihundertfünfzig Meilen und ein ganzes Universum von dem schindelgedeckten Bungalow in der Kitchawank Colony und dem zischenden Inferno von Depeyster Manufacturing entfernt, und er mußte noch drei weitere nicht enden wollende Monate erdulden, bis er aus den leberfleckigen Händen von Rektor Crumley das Diplom empfangen und seinem Heidegger mit demselben boshaften Vergnügen alle Seiten herausreißen würde, mit dem er als Kind Fliegen die Flügel ausgerissen hatte.
    Jessica ging ebenfalls aufs College. In Albany. Sie hatte Walter seit den Weihnachtsferien nicht gesehen und ihm in der letzten Woche dreimal geschrieben, ohne Antwort zu bekommen. Außerdem hatte sie an mehrere Unis geschrieben: Scripps, Miami, N.Y.U. und Mayaguez. Was sie von Walter wollte, war Liebe, Treue und eine dauerhafte Beziehung; was sie von Scripps, Miami, N.Y.U. und Mayaguez wollte, war ein Studienplatz in Meeresbiologie. Momentan betrachtete sie die Reinschrift ihrer Abschlußarbeit, die auf dem Schreibtisch lag, neben einem weiteren Brief an Walter. Sie hatte die Beine übereinandergeschlagen, und ein weicher Pantoffel, der aussah wie ein Kaninchen, aber aus Baumwolle war, baumelte von ihren rosa lackierten Zehen. Beim Lesen des Titels durchfuhr sie ein wonniger Schauer: Auswirkungen von Temperaturschwankungen auf die Vanadiumkonzentration im Organismus von Manteltieren der Gezeitenzone , von Jessica Conklin Wing. Sie ließ den Schauer verebben, blätterte um und fing an zu lesen.
    Tom Crane, der Enkel von Peletiah, Jessicas Freund und Beichtvater und Walters alter Kumpel, war nicht im College. Seit zwei Wochen jedenfalls nicht mehr. O nein. Er nicht. Er war ein Aussteiger, und er war stolz drauf. Cornell University war, wenn man ihn fragte, eine absolut spießbürgerliche Institution, repressiv, reaktionär und langweilig bis zur Verblödung. Er hatte seinen letzten Frosch seziert, seine letzte Ratte gefoltert und zum letztenmal seine Lehrbücher geschleppt, zwölf Kilo Papier, vollgepackt mit Abbildungen, Diagrammen und Anhängen. Er hatte sein Zimmer geräumt und das ganze Zeug – Schreibtisch, Stuhl, Arbeitslampe, Rechenschieber, Skripten, Lexika, sein Naturgeschichte-Lehrbuch und einen zwei Jahre alten Kalender, in dem vor den feuchten Schamlippen nackter puertoricanischer Mädchen mit schwarzen Brustwarzen die Wildblütler der Neuenglandstaaten abgebildet waren – für sechsundzwanzig Dollar verkauft, seine Unterwäsche in einen Rucksack gestopft

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